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Archiv-Artikel

Rosa Prachtnelken

JAPAN Frauen im Ausnahmezustand

VON GITTE ZSCHOCH

Die japanischen Fußballfans haben sich während der Männer-WM 2006 in Deutschland unvergesslich gemacht. Viele werden sich an die rot-weiß bemalten Japaner erinnern: Sie saßen und standen auf den Tribünen, wedelten dabei mit riesigen Plakaten und machten trommelnd Stimmung. Nach den heißen Spielen konnte man sie auf öffentlichen Plätzen dabei beobachten, wie sie Ordnung machen und Müll einsammeln.

Japan ist, wie auch das Nachbarland Südkorea, zur Fußball-WM in Ausnahmestimmung. Vor allem fällt auf, dass viele der Fans und Anhänger Frauen sind. Die Frauen stehen auch selbst auf dem Platz: Sie spielen in einer landesweiten Liga und sind bei internationalen Turnieren erfolgreich. Nach dem 4. Platz bei den Olympischen Spielen in Peking gewannen sie 2010 drei internationale Turniere, und in der Weltrangliste stehen sie derzeit an Platz 5. Beachtlich, wenn man bedenkt, dass in Japan Fußball nie so eine Popularität erlangte wie Baseball oder das seit Jahrhunderten gepflegte Sumo-Ringen. Vielleicht wurde deswegen Fußball zu einer kleinen Nische der Damen: Angeblich versuchte man in der 1990er Jahren, nach der Neugründung der J-League, mit Werbekampagnen besonders weibliche Fans anzusprechen.

Die Mannschaft der Frauen heißt „Nadeshiko Japan“. Nadeshiko bedeutet auf Deutsch Prachtnelke, das ist eine wilde, fransige und in allerlei Rosatönen daherkommende Nelkenart. In der Phrase „Yamato Nadeshiko“ – Yamato ist ein alter Name für Japan – bezeichnet diese die traditionell erstrebenswerte, ideale Frau: bescheiden, zurückhaltend, sanft, für Ehemann und Kinder sorgend, dezent gekleidet. Fußballspielerinnen widersprechen diesem Frauenbild zwar eigentlich schon fast per definitionem, denn wie kann ein sanfter, zurückhaltender Mensch einen Zweikampf gewinnen? Aber der Name ist sinnbildlich für die Stellung der Frau in Japan. Obwohl viele Frauen arbeiten, ist es schwer für sie, in hohe Positionen zu kommen. Das Denken und der tägliche Umgang miteinander ist von patriarchalen Strukturen geprägt . Die stille, dienende Frau – dass dieses Bild noch immer die Köpfe der Menschen dominiert, wird daran ersichtlich, dass der Name „Nadeshiko Japan“ in einem Wettbewerb ausgesucht wurde.

Aber das Bild ist trotzdem nicht stark genug, um die Damen vom Platz fernzuhalten. Mittlerweile spielen einige so gut, dass sie bei deutschen Clubs unter Vertrag stehen. Yuki Nagasato wechselte vom japanischen Top-Club Urawa Reds Ladies und stürmt seit Anfang 2010 für den 1. FFC Turbine Potsdam, mit dem sie in der Saison 2009/10 deutsche Meisterin wurde und zudem die Champions League gewann. Zudem hat der FCR Duisburg Kozue Ando, Torschützenkönigin beim Asian Cup 2010, unter Vertrag. Weitere Spielerinnen der japanischen Nationalmannschaft spielen in den USA, in Schweden und Frankreich.

Und das Deutschlandbild der Japaner? „Die Deutschen sind fleißig“, sagte Nagasato in einem Interview mit der Märkischen Allgemeinen: „Und sie trinken viel Bier.“

■  Gitte Zschoch, 1984 geboren, ist Literaturwissenschaftlerin und Koreanistin. Nach Mitarbeit im Goethe-Institut Tokio arbeitet sie nun im Bereich Literatur und Übersetzungsförderung im Goethe-Institut München