schurians runde welten : Ein Bolzplatz im Centrum
„Grundsätzlich ist Doping bei der Nationalmannschaft nicht vorstellbar.“ (Joachim Löw)
Wattenscheid hilft kein Dopingmittel. Das Ruhrpottstädtchen wurde vor dreißig Jahren eingemeindet. Es verschwanden Kino, Supermärkte, die drei Buchstaben auf dem Nummernschild. Und kommenden Sonntag wird wohl das Kapitel Spitzenfußball beendet. Die heimische Sportgemeinschaft (98 Jahre) braucht schon unverschämtes Glück, um den Abstieg in die Bedeutungslosigkeit der Verbandsliga zu verhindern. Unverschämtes Glück und Wattenscheid will aber nicht zusammenpassen.
Wattenscheid ist eine Stadt in Auflösung. Beim Zeitungskauf muss man dazu sagen, wenn man die Lokalausgabe lesen möchte: bitte, die Wattenscheider Ausgabe. Wer „in d i e Stadt“ fahren will, hat mehrere zur Auswahl. Das „Centrum“ ist ein Bolzplatz, eine Sparkasse, zwei Kneipen, der Profigrill und eigentlich eine ehemalige Zechenanlage. Im Rathaus sieht man zwar Fresken über Katholizismus, Bauern und Bergbauern, aber es tagt nur noch eine Bezirksvertretung zu Fragen, die selbst der Bochumer Rat zu langweilig findet. Auch der Hass auf die feindliche Übernahme aus dem Osten schmiedet kaum noch zusammen. Es bleiben Karneval, Kruzifix, Klaus Steilmanns Traditionsmannschaft, der Pendlerbahnhof auf dem Autobahnrandstreifen.
Die gefährdete Sportgemeinschaft Wattenscheid wird derzeit von Dirk „Putsche“ Helmig trainiert – als Essener und Bochumer Profi eine Art Marek Lesniak auf Deutsch. Zaunkönig Helmig spielte nie bei der SGW – Lesniak schon. Der polnische Nationalstürmer hing gerne in den Drahtmaschen der Lohrheide nach 18 Bundesligatoren in zwei Jahren Bundesliga, lauter: Bundesliga! Danach, davor, Zweite Liga, zum Beispiel mit dem Jahrhunderttalent und Unfallopfer Maurice Banach oder einem frühen Weltstar, auch Argentiniens Nationalspieler Carlos Babington kickte für die Schwarz-Weißen. Als Textilboss Steilmann viel später den Geldhahn zudrehte, begann der Abstieg. Und eine ganze Stadt machte mit.
Nach so viel Agonie etwas Positives: Heute sehen die verrußten Gestalten auf dem Wandgemälde im großen Sitzungssaal des Rathauses endlich mal etwas Heiteres. Die, grummel, Bochumer Oberbürgermeisterin will der SGW-Frauenmannschaft zum Aufstieg in die Erste Bundesliga gratulieren. Die Spielerinnen dürfen sich ins goldene Stadtbuch eintragen. Welches Wappen das wohl trägt?
Auch die Männerabteilung will nicht klein beigeben. Wer einmal oben war, möchte nicht einfach nur Verbandsliga spielen, sondern – zweifach. Sie werden sich gleich doppelt anmelden, in verschiedenen Staffeln. Ein kleiner Trost. CHRISTOPH SCHURIAN