„Hamburg braucht Orte für Off-Kultur“

Die Frage, welche Rolle die Kultur bei der Entwicklung von Großstädten spielt, beschäftigt heute Experten bei der internationalen Konferenz „Creative Europe“ in Hamburg. Referieren wird dort auch Torsten Oltmanns von der Unternehmensberatung Roland Berger

TORSTEN OLTMANNS, Jahrgang 1964, ist Principal und Global Marketing Director bei Roland Berger Strategy Consultants in Hamburg. Er studierte VWL und ist Wirtschafts-Redakteur.

taz: Herr Oltmanns, Sie haben untersucht, wie sich europäische Metropolen im Wettstreit um kluge, innovative Köpfe aufstellen. Wie sind Sie vorgegangen?

Torsten Oltmanns: Die Grundidee ist der Creative-Class-Ansatz von Richard Florida. Das ist ein amerikanischer Soziologe, der sich mit der Frage beschäftigt hat, wie sich Städte entwickeln und was für ihre Zukunftsfähigkeit entscheidend ist. Als wesentliche Determinanten beschreibt er die drei Ts: „Talente“, „Toleranz“ und „Technologie“.

Wir haben untersucht, ob es wirklich eine Korrelation gibt zwischen wirtschaftlicher Stärke und den drei Ts. Dazu haben wir uns die stärksten Wirtschaftsregionen Europas angeguckt und konnten feststellen: Es gibt einen Leistungsunterschied zwischen Regionen, die in einem oder mehreren der Ts besonders stark sind und denen, die kein Profil in diesen drei Ts haben.

Einen Leistungsunterschied inwiefern?

Wir haben uns den Zeitraum 2004 bis 1997 angeguckt und das Wirtschaftswachstum absolut und das Pro-Kopf-Einkommen verglichen. Kopenhagen hatte in diesem Zeitraum ein BIP-Wachstum von 14,5 Prozent, Barcelona hatte 31,3 Prozent, Amsterdam und Wien um die 18 Prozent und Hamburg 7,8 Prozent. Da sieht man, dass Hamburg noch was tun muss. Das relativiert sich ein bisschen beim Pro-Kopf-Wachstum, da liegt Hamburg ziemlich gut.

Und wie unterscheiden sich die Städte in Bezug auf Floridas drei Ts?

Es haben sich drei Typen ergeben: Kopenhagen und Dublin sind Städte, die sich sehr stark über „Technologie“ und „Talente“ definieren und relativ wenig über „Toleranz“. Diese Städte folgen der Strategie: „People follow jobs“.

Barcelona macht das fast umgekehrt: Dort ist das Prinzip „Jobs follow people“. Barcelona setzt dramatisch auf „Talent“ und „Toleranz“ und ist in dem Bereich so attraktiv geworden, dass die Leute da hinziehen – und die Firmen hinterher. Das sind die beiden Extrem-Strategien. Aber die meisten Städte liegen in einem dritten Bereich, mit einer Mischung in unterschiedlicher Ausprägung. Die Frage ist dann, ob es klug ist, sich auf eines der beiden Extreme zuzubewegen.

Wo verorten Sie da Hamburg?

Hamburg ist in dieser dritten Kategorie. Mit sehr traditionellen Clustern wie Luftfahrt, Hafen, Logistik, Medien. Damit ist es im Bereich der Technologie und auf eine bestimmte Art auch im Bereich der Talente gut positioniert: Es gibt sehr viele gut ausgebildete Leute in Hamburg im „technologisch-traditionellen“ Milieu. Es gibt aber auch eine relativ starke Bohème – viele Theater, viel Kreativität. Hamburgs Problem besteht darin, dass sich das künstlerisch-kreative Element nicht auf den Rest der Eliten überträgt. Die Herausforderung ist, diese Milieus besser zusammenzubringen.

Das klingt, als wollten Sie die Kunst fortan in den Dienst der wirtschaftlich relevanten Technologie stellen.

Nein, der Austausch geht in beide Richtungen. Egal, ob Sie mit einem Ingenieur reden oder mit einem Kunststudenten: In einer auf Wissen basierten Gesellschaft werden die beide eine hohe Anregungsdichte wollen. Und zwar beide voneinander. Sie brauchen also einerseits die Künstler um ihrer selbst willen und sie brauchen die Technologie-Elite um ihrer selbst willen. Und dann brauchen sie Brücken zwischen den beiden, damit Anregungsdichte entsteht. Nun geht es darum, beide Eliten nach Hamburg zu kriegen.

Wie könnte das funktionieren?

Das ist auch eine Frage von Marketing. Was den Leuten zu Hamburg einfällt ist: Wasser, viele Grünflächen, Hafen und viel traditionelle Industrie. In einem ersten Schritt müsste man klarmachen, dass Hamburg eine Menge anderer Sachen zu bieten hat. Allerdings ist die künstlerische Auseinandersetzung in der Stadt sehr gediegen. Sie spricht eine bestimmte Zielgruppe exakt an, aber die jungen kreativen Eliten fühlen sich zunehmend weniger angesprochen.

Wie ließen sich die ansprechen?

Barcelona beispielsweise ist den Weg gegangen, Festivals zu organisieren. Veranstaltungen, die Leute anziehen, um zu zeigen, dass schon Leute wie sie vor Ort sind. Was einige Städte auch sehr gut machen ist, Freiflächen für eine bestimmte Zeit den kreativen Gruppen zur Verfügung zu stellen. Man könnte zum Beispiel sagen: Wenn man in Hamburg die Hafen-City baut, stellt man dort für drei Jahre innovativen Versuchsraum zur Verfügung.

Ist Hamburgs vorhandene Künstlerszene denn überhaupt interessant genug, um international attraktiv zu sein?

Das lässt sich schlecht messbar machen. Klar könnte man Galerien zählen. Aber wonach wir suchen, sind Vorstufen, in denen die Künstler noch nicht in Galerien verkaufen. In Berlin zum Beispiel gibt es 111 öffentliche Theater, die keine öffentliche Förderung kriegen. Das sind die, in denen vielleicht etwas entsteht, das dann in fünf Jahren auf einer großen Bühne eine Rolle spielt.

Meine persönliche Meinung ist: Es gibt viel Kunst in Hamburg, aber es gibt keine Foren, wo sich die Szene treffen könnte. Stattdessen gibt es eine Vereinzelungstendenz. Kunst wird noch nicht als gemeinsames, wichtiges Element in der Stadt wahrgenommen. Am Ende ist es aber auch einfach eine praktische Frage: In Hamburg ist Wohnraum im Gegensatz zu Berlin unheimlich teuer. Off-Kulturen brauchen einfach irgendwo ein Off. Da ist die praktische Frage: Wo wäre das denn in Hamburg?INTERVIEW: KLAUS IRLER