SCHACHBOXEN : Ende der Bedenkzeit
Der „Berlin Bull“ muss ganz schön pumpen. Die Birne hochrot, pariert Nils Becker die Attacken seines Londoner Kontrahenten Nick Cornish. Rechte Schulter hochziehen. Deckung stabil halten. Ausweichen. Noch einen kleinen Schlenker um den Gegner drehen, dann brechen die letzten 10 Sekunden der 8. Runde an. Dann, weiß Becker, hat er so gut wie gewonnen.
Dementsprechend euphorisch begrüßen die Betreuer ihren Schützling in der Berliner Ecke, während sich im britischen Ringwinkel bereits Resignation breitmacht. Beiden Boxern werden fix die Handschuhe ausgezogen. Ein massiger Typ, der sich gerade biergestählt von der Bar dem Nummerngirl im Zitronenkleidchen zuwendet, verzieht das Gesicht zur traurigen Fratze. Nicht wegen der aparten Dame, sondern wegen dem, was jetzt kommt – in der 9. Runde wird Schach gespielt. Also flüchtet Kamerad Stiernacken schnell in den Raucherbereich des Tape-Club.
Konnte ja keiner ahnen, dass Schachboxen (2003 vom Berliner Künstler Iepe Rubingh erfunden), im Sinne der Symbiose aus beiden Sportarten, wörtlich gemeint ist. Also muss der aufgeplusterte Kleiderschrank nun mit einem Kampf Tyson gegen Kasparow rechnen. Schließlich wird eben 11 Runden lang abwechselnd vier Minuten Schach gespielt und drei Minuten geboxt. Zum Sieg führen der K.O., eine Schachmattposition oder das Ende der Gesamtbedenkzeit von 12 Minuten. Geht die Partie remis aus, gewinnt der nach Punkten bessere Boxer. Bei Cornish tickt die Uhr nun gnadenlos runter und Becker gewinnt dank klarer Vorteile am Brett.
Außer dem einsamen Raucher sind die restlichen 300 Zuschauer begeistert von dem spannenden Städteduell zwischen Berlin und London, bei dem die englische Fraktion – von insgesamt drei Kämpfen gewinnen die Briten zwei – die heil gebliebenen Nasen am Ende vorn haben.
JAN SCHEPER