: Das Privileg der Ignoranz
AUSGRENZUNG In der Werkstatt der Kulturen wurde ein kritisches Lexikon vorgestellt, das dem Rassismus in der Sprache nachspürt
Über Rassismus werde in Deutschland nicht gern gesprochen, sagt Susan Arndt. Oft gelte er als Markenzeichen von Neonazis, mit dem die aufgeklärte Mehrheit nichts zu schaffen habe. Das ist ein populärer Trugschluss, so die Bayreuther Literaturwissenschaftlerin: „Eines der Privilegien, die Weiße genießen, ist, nicht über Rassismus nachdenken zu müssen.“
Begünstigt wird dies hierzulande durch die mangelnde Aufarbeitung des kolonialen Erbes. Ohne Wissen über ihn lässt sich der Rassismus aber nicht zurückdrängen. Das fängt bei der Sprache an, in der alltäglich – offen oder subtil – Hierarchien festgeschrieben werden. Dem will Arndt mit einem kritischen Lexikon entgegentreten, das sie gemeinsam mit Nadja Ofuatey-Alazard herausgegeben hat. Ihr Nachschlagewerk „Wie Rassismus aus Wörtern spricht“ richte sich vor allem an weiße Deutsche, betont Arndt bei der Vorstellung des Bandes in der Berliner Werkstatt der Kulturen.
Deniz Utlu, einer der 68 Autoren, sieht in dem Kompendium eine Hilfestellung für Multiplikatoren. Er sei bei der Pressearbeit für eine NGO selbst über Begriffe gestolpert, die scheinbar harmlos sind, tatsächlich aber diskriminierend wirken. Ein „Migrationshintergrund“ etwa werde nur bei bestimmten Personengruppen erwähnt, nicht aber „bei einem weißen Franzosen“.
Damit verweist Utlu auf eine Stärke des Bandes: Die Verfasser aus dem Umfeld von Akademie, Kunst und Aktivismus beschränken sich nicht auf die Analyse offenkundig rassistischer Schmähungen. Sie überprüfen auf fast 800 Seiten auch als neutral geltende Wörter wie „indigen“ auf ihren ausgrenzenden Gehalt. Dabei setzen sie auf Formvielfalt und stellen etwa einen satirischen Text neben den streng wissenschaftlichen Lexikoneintrag.
Geht es ihnen also um die viel gescholtene Political Correctness? Während Utlu das verneint, springt Esther Dischereit für das Konzept in die Bresche. Es verändere den Boden des Sagbaren, resümiert die jüdisch-deutsche Schriftstellerin ihre Erfahrungen mit Besuchen in den USA: „Man kann den öffentlichen Raum nicht so ohne Weiteres sprachlich vollmüllen.“ Dischereit plädiert vorsichtig für einen Schulterschluss verschiedener vom Rassismus betroffener Gruppen. Ihre Erfahrungen gleichen sich oft, argumentiert sie mit Blick auf das Schweizer Minarett-Referendum und erinnert an ähnliche Anfeindungen in der Vergangenheit gegen den Bau von Synagogen in Deutschland.
Hat sich unterdessen im medialen Umgang mit Rassismus etwas verändert? „Ich würde jetzt gern etwas Positives sagen?“, antwortet Noah Sow und lacht. Die Autorin von „Deutschland Schwarz Weiß“, die zahlreiche Texte zum Lexikon beigesteuert hat, beobachtet einen Verlauf „in Form von Sinuskurven“. Auf das Erreichte folge zuverlässig ein Backlash. Da bleibe nur: weitermachen. STEFFEN VOGEL
■ Susan Arndt, Nadia Ofuatey-Alazard (Hg.): „Wie Rassismus aus Wörtern spricht. (K)Erben des Kolonialismus im Wissensarchiv deutsche Sprache“. Unrast Verlag, Münster, 786 Seiten, 29,80 Euro