: Unbekannter Wendekreis
Colonia bleibt kolonial. Mit „The Tropic of X“ kommt die postkoloniale Theorie auf der Theaterbühne des Artheaters der Domstadt an. Auf ihre Übersetzung wartet sie dort trotzdem weiter
von CHRISTIAN WERTHSCHULTE
Einfältiger kann man einen Einstieg nicht gestalten. Auf der Bühne findet sich ein Strandpanorama, an der Seite ein bambusverkleidetes DJ-Booth mit Hawaii-behemdten Plattenaufleger. Im Bühnenhintergrund rauscht das Meer, davor zwei abgewetzte Autosessel, selbstverständlich mit Farbe verdreckt. Warum das Klischee in der Karibik suchen, wenn Köln-Ehrenfeld so nahe ist?
Genau deshalb. „The Tropic of X“, geschrieben von der ukrainisch-amerikanischen Autorin Cavidad Svich, ist eine deutsche Erstaufführung. Mori (Stephen Appleton) und Maura (Heidrun Reinhardt) fristen an einem namenlos bleibenden Ort eine eher eintönige Existenz. Sie verdingen sich je nach Gelegenheit als Taschendiebe, Touristenschrecks oder StricherInnen, während sie die reichlich vorhandene Tagesfreizeit mit Automatenspielen oder Drogen füllen. Zwischendurch treffen sie sich mit dem Transvestiten Kiki (Sunga Weineck) und tauschen Neuigkeiten über Freier und Träume vom schönen Leben in den kapitalistischen Zentren aus. Doch die brüchige Idylle scheitert. Der unbenannte Strand wird zum Schauplatz einer ebenso unbenannten Gewaltherrschaft. Mori landet im Gefängnis und Mauras Versuche, ihn zu retten, scheitern. Vor dem Schlußvorhang steht das Bild von Maura, die den sterbenden Mori umarmt. Das ist vorhersehbar, aber gut gemacht. Appleton und Weineck spielen ihre Charaktere ausdrucksstark, aber wenig glaubwürdig und verhindern so die empathische Identifikation mit den dar gestellten Rollen. Nichts ist unerträglicher als Mitgefühl anstelle von Verstehen und vor dieses haben Autorin und ÜbersetzerInnen glücklicherweise eine hohe Hürde gesetzt.
Es ist eine alte Forderung postkolonialer Literaturtheoretiker wie Gayatri Spivak, dass die Kolonisierten mit ihrer eigenen Stimme ein Gegenstück zur kolonialen Meisterzählung formulieren. „The Tropic of X“ löst diese Forderung ein. So vertraut das Szenario der sich gegen die Widerstände ihrer Umgebung Liebenden erscheint, so fremd wirkt es, sobald die Subalternen ihre Situation zu beschreiben versuchen.
„Sie haben mir meine Zunge genommen“, röchelt der sterbende Mori nach seiner Gefangenschaft und evoziert damit eine Reihe von Assoziationen, die vom einfachen „false friend“ bis zu Robinson Crusoe, dem Prototyp aller Kolonialerzählungen, reicht. Und dabei bleibt es nicht. Die Dialoge von Mori und Maura sind durchsetzt von Signifikanten kapitalistischer Produktion: Markennamen und Phantasien vom Reichtum des italienischen Nordens. Und sich selbst sieht das Liebespaar als Street Fighter, als Charaktere in einem Computerspiel, dessen Fähigkeit zur Generierung neuer Widrigkeiten ungebrochen ist. Das passt es gut, wenn „das Andere“ auf der Bühne von nur einem Darsteller (Bernd Rehse) verkörpert wird, der je nach Szene als Tourist, Freier oder Folterer auftritt und so der Kolonisierer statt der Kolonisierten unbestimmt bleibt. Dass „The Tropic of X“ bei aller Theorie trotzdem nicht wie eine inszenierte Seminararbeit wirkt, ist dem doppeldeutigen Spiel mit Klischees zu verdanken. DJ Hilton (Ben Steinhoff) orchestriert Aufstieg und Fall der Helden von seinem DJ-Pult aus und greift tief in die Plattenkiste der Karibik. Kiki ist eine Transe aus dem Bilderbuch und Maura eine Göre aus der Zeitgenossenschaft. Und man selber halt Teil eines Großstadttheaterpublikums und damit auf der sicheren Seite der Verhältnisse.
7.-9.Juni; Artheater; Köln
Info: 0221-5503344
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