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Archiv-Artikel

Der Tag der Gewalt

13.28 Uhr: 50.000 Demonstranten, 10.000 Polizisten. 19.30 Uhr: 520 verletzte Demonstranten, 433 verletzte Polizisten. Das Protokoll von DANIEL SCHULZ

13.28 Uhr, Samstag: Die Demonstration in Rostock besteht aus zwei Zügen, die um 13 Uhr von unterschiedlichen Orten losgehen sollen. Vor dem Rostocker Hauptbahnhof laufen die Demonstranten etwa eine halbe Stunde später los. Am Schutower Kreuz starten die Protestler fast pünktlich. Dieser Demonstrationszug wird bis zur Abschlusskundgebung friedlich bleiben. Später werden die Veranstalter 80.000 Demonstranten zählen, die Polizei 25.000. Laut Schätzungen sind es 50.000 bis 60.000.

14.45 Uhr: Augenzeugen erzählen, sie hätten am Hotel Radisson eine eingeschlagene Scheibe bemerkt. Außerdem seien die Fenster einer Sparkassen-Filiale beschädigt worden, sagt ein Autonomer der taz. Sein Kommentar: „Eine dumme Aktion, die vergeben wenigstens noch Girokonten an arme Leute.“

14.50 Uhr: Ein Sprecher der Polizei sagt, ein Beamter sei von einem Demonstranten mit einem Messer verletzt worden. Die Polizei bestätigt dies am Sonntag, machte aber weder Angaben zur Schwere der Verletzungen noch zu der Situation, in der der Täter zustach.

15.03 Uhr: Ein großer Teil des Demonstrationszuges vom Schutower Kreuz ist bereits auf dem Gelände des Stadthafens angekommen. Auch das vordere Drittel der Protestler vom Hauptbahnhof ist bereits dort, der große Rest marschiert noch auf der Straße „Am Strande“. Etwa 100 schwarz gekleidete Vermummte ziehen Platten aus dem Gehweg und lassen diese auf die Bordsteinkante fallen, so dass die in einzelne Brocken zerbrechen. Diese Steine werfen die Angreifer auf 20 bis 30 Polizisten, die 50 bis 100 Meter entfernt auf einem Parkplatz neben der Demonstrationsstrecke stehen.

15.04 Uhr: Die anderen Demonstranten stoppen und halten Abstand. Gleichzeitig wird ein in der Nähe stehender Polizeitransporter vom Typ Mercedes Vito mit Steinen angegriffen und Polizisten darin verletzt. Laut einem Polizeisprecher diente dieser Transporter dazu, den Verkehr von der Demonstrationsroute fernzuhalten. Die in neongelbe Westen gekleideten Deeskalationsteams der Polizei sind nicht zu sehen. Laut einem Sprecher wurden sie erst abgezogen, nachdem die ersten Steine geworfen wurden.

15.05 Uhr: Die Steine fliegen auch in die Scheiben eines Kombi, der auf dem Parkplatz neben der Demonstrationsroute steht. Vermummte treten die Spiegel des Wagens ab. Die Polizei läuft mehrmals auf die Steinewerfer zu und versucht diese zu vertreiben.

15.10 Uhr: Der Demonstrationszug hält immer noch. Hinter den Steinewerfern steht der Lautsprecherwagen von Attac. Sie diskutieren darüber, was sie gegen die Eskalation der Lage tun können. Ein paar Minuten später entschließen sie sich, in die Straßenschlacht hineinzulaufen. Sie nehmen den verdutzten Steinewerfern ihre Munition ab, sammeln Steine vom Boden auf und schimpfen mit den verdutzten Randalierern.

15.15 Uhr: Die Gruppe der Steinewerfer löst sich auf, die Demonstration zieht weiter auf das Stadthafengelände. Augenzeugen widersprechen Gerüchten, nach denen unter den Vermummten viele Niederländer oder Griechen waren: „Sie haben nach Zigaretten gefragt, und zwar eindeutig auf Deutsch.“

15.30 Uhr: Die Polizei stürmt jetzt mit kleinen Gruppen immer wieder auf das Gelände und versucht, einzelne Demonstranten zu ergreifen. Dafür werden sie mit Flaschen und Steinen beworfen. Augenzeugen werfen den Beamten vor, die Lage wieder eskaliert zu haben, nachdem sie sich schon beruhigt hatte.

15.31 Uhr: Polizisten berichten davon, dass Beamte von autonomen Gruppen durch die Straßen gejagt werden.

16.00 Uhr: Die Kundgebung beginnt nicht wie geplant. Stattdessen wird ab und an Musik gespielt. Immer wieder verlangen Redner auf der Bühne von der Polizei, den Platz zu räumen und nicht weiter zu provozieren.

17.10 Uhr: Am östlichen Ende des Stadthafens explodiert eine Tränengasgranate. Autonome, friedliche Demonstranten, Journalisten und Besucher einer Imbissbude flüchten mit brennenden Augen vor dem Gas.

17.20 Uhr: Neben der Straße Am Strande brennt der silberne Kombi, dem randalierende Vermummte zuvor schon die Scheiben eingeworfen hatten. Schwarzer Rauch zieht über den Platz.

17.30 Uhr: Mehrere hundert Autonome demolieren einen neuen Golf und einen älteren Mitsubishi in der Straße Am Strande. Andere zerschlagen Gehwegplatten und werfen die Stücke auf Polizisten. Die Szene ist kurios: Während vor der Bühne viele Menschen ahnungslos das Konzert der Band Juli genießen, flammen am Rande der Veranstaltung immer wieder Kämpfe auf.

17.45 Uhr: Fünf Wasserwerfer und zwei Räumpanzer fahren auf den Platz und teilweise bis in die Menge hinein. Die Wasserwerfer zielen auf Gruppen von Autonomen, aber auch auf unbeteiligte Kundgebungsteilnehmer und abseits stehende Kamerateams. Mehrere Polizeihundertschaften folgen ihnen. Sie werden mit Steinen beworfen. Polizisten jagen einzelne Gruppen von Autonomen, nehmen einige fest.

17.51 Uhr: Wieder massiver Tränengaseinsatz. Qualmende Kartuschen werden gegen Randalierer geschossen und von diesen zu den Polizisten zurückgeworfen. Verkehrsschilder und Ampeln gehen zu Bruch.

18.11 Uhr: Eine Polizeikette riegelt den halben Veranstaltungsort ab, um die Zuschauer von Konzert und Kundgebung komplett von den Krawallen abzutrennen. Wasserwerfer schießen auch in die Zuschauermenge.

18.30 Uhr: Die Lage hat sich im Stadthafen teilweise beruhigt. Die schweren Polizeifahrzeuge ziehen sich zurück. Allerdings versuchen kleine Gruppen von Polizisten immer wieder, Demonstranten aus der Menge zu holen und festzunehmen. Über Lautsprecher werden die Protestler am Rand der Menge aufgefordert, eine Kette zu bilden. Ein Autonomer soll laut Spiegel Online die Menge dazu aufgefordert haben, den „Krieg in die Demonstration zu tragen“. Viele Augenzeugen haben das aber nicht gehört. Attac sagt später, es sei ein Übersetzungsfehler bei einer Rede des Globalisierungskritikers Walden Bello gewesen.

19.30 Uhr: Die Polizei startet einen letzten Versuch, einzelne Teilnehmer der Demo festzunehmen – und zieht sich dann vollends zurück.

4.00 Uhr, Sonntag: In der Nacht brennen noch zwei Autos, dies wird der Polizei gegen 4.25 Uhr gemeldet. Verdächtige gibt es bisher nicht.

Die Bilanz: Fast 1.000 Verletzte, davon 520 G-8-Gegner und 433 Polizisten (50 von ihnen schwer). Zwischen 125 und 165 Gipfelgegner wurden festgenommen.

MITARBEIT: MALTE KREUTZFELDT