: Erstaunliche Eigenschaften
THEATER Wer nüchtern bleibt, ist selber schuld. Regina Gyr inszeniert Felicia Zellers Prosatext „Einsam lehnen am Bekannten“ im Heimathafen Neukölln
Los, amüsier dich. Die Zirkusmusik ruft dir das zu und die Fanfaren, die nicht aus einer Trompete, sondern zwischen den Lippen eines Schauspielers hervorgepresst werden. Los, amüsier dich, wofür sonst sind die Trikots der Truppe bonbonfarben und ihre Figuren wie dem Comic abgeschaut. Zack, ein paar Striche, schon steht der dicke Max vor uns, der mit aufgepumpter Brust den Gegner einschüchtert. Ah, und dieser nölende Ton, dieses ewig beleidigte „mannomannomann“, das kann doch nur ein Neuköllner Bademeister sein!
Richtig, wir befinden uns in Neukölln, genauer gesagt im Heimathafen Neukölln, dem Theater, das sich auf die Suche nach einem neuen Volkstheater begeben hat. Im schönen Saal des Saalbaus Neukölln haben sie diesmal die Zuschauer rund um die Spielfläche platziert. Manchmal spielen Kasperlepuppen auf der Empore mit und wiederholen die Szenen, die eben unten liefen – ein schönes Mittel, um die Verkürzung und Verknappung der Skizzenstriche, mit denen hier Milieus und Kleinstbiotope von Trinkern und Künstlern gezeichnet werden, noch einmal zu potenzieren. Denn darum geht es, das Signifikante des Lebens rund um die Hasenheide auf möglichst kurzer Strecke herauszupräparieren, ohne dabei nur ein Klischee zu produzieren. Keine leichte Sache, die sich die Regisseurin Regina Gyr vorgenommen hat.
Sketchreife Minidramen
Ein Prosatext hat als Vorlage gedient, „Einsam lehnen am Bekannten“ von Felicia Zeller. Zeller ist mit Dramentexten bekannt geworden, die mit einer außergewöhnlichen Musikalität der Sprache überraschten, auch gerade da, wo sie sehr spröde Geschichten erzählte. „Einsam lehnen am Bekannten“ ist wie eine Sammlung von Schnappschüssen, von O-Ton-Mitschnitten und von sketchreifen Minidramen. Da gibt es Dialoge aus nur begonnenen, nie abgeschlossenen Sätzen, die von der Lust auf einen Anfang erzählen, aber schon nach drei Worten jede Energie zur Durchführung verlieren. Oder das Nachdenken einer Frau über synchrones und asynchrones Trinken in der Paarbeziehung – wer zum falschen Zeitpunkt nüchtern bleibt, muss die ganze Nacht das Schnarchen des anderen ertragen. Und plötzlich erscheint es ihr, als würde das ganze Geld, das sie für die Miete aufbringt, zu nichts anderem führen, als diesem Schnarchen ausgesetzt zu sein.
Die Idee, dieses Kaleidoskop in einen „Großstadttingeltangel“ zu übersetzen, liegt nahe. Die Regisseurin und ihr Ensemble versuchen dabei, einen zusätzlichen Dreh reinzubringen – durch den Modus des Sprechens, etwa durchs Mikrofon, als ob es um die Ankündigung einer sensationellen Zirkusnummer gehe, obwohl doch nur von sehr kleinen und banalen Dingen die Rede ist. Aber das funktioniert nicht immer, teils ist die Akustik so schlecht, das viel Textverständlichkeit verloren geht, teils rutscht das aus leicht abgedrehter Perspektive Gesehene zurück ins Klischee: Die Prolls und Billigkäufer stehen dann vor uns wie schon seit Jahrzehnten gesehen.
„Willste poppen?“ – „Nee, geh joggen!“, fünfmal, zehnmal oder zwanzigmal wiederholt sich dieser Spardialog zwischen zwei Männern und zwei Frauen, die sich rund um einen Berg aus schrillen Perücken jagen und abwechseln in der Rolle von Verfolger und Verfolgten. Mit minimalem Wortschatz auszukommen und sich von Antworten nicht vom Kurs abbringen zu lassen, diese erstaunlichen Eigenschaften des Neuköllners kommen in der Inszenierung außerordentlich klar zum Tragen. Da hat man innerlich vielleicht schon zwei-, dreimal geseufzt, warum muss hier nur alles so lustig sein, im Gekicher und Gepruste der Sitznachbarin geht der nächste Textteil unter, und dann erwischt sie einen doch, die Albernheit, und man ergibt sich ihr. Anders kommt man hier nicht durch.
KATRIN BETTINA MÜLLER
■ Wieder am 30. Juni, 1. und 2. Juli, im Heimathafen Neukölln, 21 Uhr