: Ein Verlag bündelt die Sinnressourcen
Folgt auf die Suhrkamp-Kultur nun die Suhrkamp-Religion? Gerade gründete das Haus einen Verlag der Weltreligionen – dessen Programm unterläuft die Ausdifferenzierung, für die das Wissenschaftsprogramm von Suhrkamp stand. Und warum sehen die Bücher nur so verdammt nach Hausbibeln aus?
VON BERT REBHANDL
Johann Wolfgang Goethe, der Deutschen größter Dichter, war selbstbewusst genug, sich in Fragen der Religion nicht mit dem Prinzip Hoffnung aufzuhalten. „Wenn ich bis an mein Ende rastlos wirke“, schrieb er 1829, drei Jahre vor seinem Tod, „so ist die Natur verpflichtet, mir eine andere Form des Daseins anzuweisen, wenn die jetzige meinen Geist nicht ferner auszuhalten vermag.“
An welche posthume Existenzform Goethe dabei genau dachte, muss offen bleiben. Generationen von Schülern und Nachgeborenen wissen jedenfalls, dass Goethe in der Existenzform eines Klassikers ein enormes Nachleben hat, das weit über den Bereich der Literatur hinausreicht. So taucht er nun an interessanter Stelle schon wieder auf: In dem Almanach, mit dem das Haus Suhrkamp/Insel seinen neuen Verlag der Weltreligionen vorstellt, ist auch ein Aufsatz von Wolfgang Frühwald über die „zarte Religion“ von Goethe enthalten. Das ist deswegen nicht ohne Ironie, weil ausgerechnet der Weimaraner im Kontext der heiligen Texte, um deren Edition es bei diesem ehrgeizigen Unternehmen geht, die Position der Religionskritik übernimmt. Er tut dies nicht allein, aber Goethe ist doch, zwischen Rig-Veda und Koran, zwischen Peter Sloterdijk und Giorgio Agamben, der entschiedenste Moderne in diesem Programm.
Ein neues, globales Religionsgespräch will Suhrkamp anstiften. Dazu wird nicht einfach eine weitere Reihe eröffnet, sondern ein Verlag. Das erste Programm, das für diesen Herbst angekündigt ist, lässt schon erkennen, woran sich der Verlag der Weltreligionen orientiert: an den ebenso schönen wie wissenschaftlich anspruchsvollen Bänden des Deutschen Klassiker Verlags, der noch zum Vermächtnis von Siegfried Unseld gehört und dazu beitrug, die wesentlich nachkriegsmoderne Suhrkamp-Kultur in der deutschen Geistesgeschichte grundzulegen.
Der Verlag der Weltreligionen lässt sich in der Kulturdiagnostik, aus der er sein Motiv gewinnt, von Joseph Ratzinger leiten. Der katholische Theologe und aktuelle Papst hat in einer Diskussion mit Jürgen Habermas auf „die faktische Nichtuniversalität der beiden großen Kulturen des Westens, der Kultur des christlichen Glaubens wie derjenigen der säkularen Rationalität“ hingewiesen. Erst aus dem Hören auf „die großen religiösen Überlieferungen der Menschheit“ kann ein „universaler Prozess der Reinigungen“ erwachsen. Dass Ratzinger in der Präambel zum neuen Verlag so prominent zitiert wird, ist ein merkwürdiges Indiz. Denn der konservative Theologe arbeitet gerade auch als Papst mit einem prekären Vernunftbegriff. Mehrfach schon hat er versucht, die Vernunft der europäischen Aufklärung und deren eigener Selbstkritik zu entwinden und sie im Rückgriff auf die griechisch-lateinische Tradition wieder an die Kirche zu binden. So hat er erst unlängst die nicht eben friedfertige katholische Mission in Lateinamerika im Zuge der Conquista als Erfüllung der indigenen religiösen Hoffnungen beschrieben.
Der Verlag der Weltreligionen steckt tief in den kulturellen Kategorien dieses Denkens fest. Eine wesentliche Leistung des Suhrkamp Verlags war es doch gewesen, von Religion als einem kulturellen Phänomen zu handeln, über das sich unter den verschiedensten Gesichtspunkten sprechen lässt. Religion mochte von höchsten Wesen und letzten Begründungen handeln, die Methoden des Diskurses blieben doch die Human- und Einzelwissenschaften, die in den Reihen des Verlags gepflegt wurden.
Kanonische Texte aus großen und kleinen Welt- oder Universalreligionen sollen nun im Mittelpunkt des neuen Verlags stehen. Dazu sollen zahlreiche Bücher, die sich in der Backlist von Suhrkamp und Insel finden und zum Thema passen, in den Verlag der Weltreligionen überführt werden. Das geschieht dann zwar immer noch unter dem Dach der Suhrkamp-Kultur, bildet innerhalb derer aber doch in Hinkunft eine Ausnahme: Religion wird zu einem Gegenstand eigener Ordnung, sie ist nicht mehr ein System neben gleichwertigen anderen.
Die Beschäftigung mit den Religionen geht in den zentralen Teilen des neuen Verlagsprogramms, wie in einer ersten Phase der Aneignung im 18. und 19. Jahrhundert, noch einmal zurück zur Philologie: Übersetzung und Kommentar soll die Grundlagen sichern – für was? Für ein besseres Verständnis des Sikhismus? Für die Selbstaufklärung der Religionen, wie es die Auswahl der Texte aus dem Islam optimistisch annimmt?
Ulrich Beck schreibt in einem Text über „Weltreligionen, Weltkonflikte“ von einer „Durchdringung von Säkularisierung und Sakralisierung“, die zumal in Europa zu beobachten ist. Der Verlag der Weltreligionen wirkt wie ein Versuch, diese „Durchdringung“ nicht aufzulösen, wie es das Projekt der Aufklärung wäre, sondern zu inszenieren. Die Bücher haben die ästhetische Anmutung von Hausbibeln, die für lange Zeiträume gedacht sind; sie bringen zugleich im Kommentar den neuesten Stand der Religionswissenschaft zur Kenntnis. Sie sind heilige und gelehrte Bücher in einem – und weisen damit weit zurück in die historische Konstellation, als Europa sich noch pauschal den „anderen“ Kulturen gegenübersah und für deren Schrifttum und Artefakte eigene Museen und Buchreihen gegründet wurden.
So bekommt die Verlagsgründung einen seltsamen Beigeschmack: Suhrkamp konzentriert die Sinnressourcen. Das mag sich ökonomisch als klug erweisen, intellektuell ist es ein Rückschritt gerade gegen die Ausdifferenzierungserfolge der eigenen Verlagsarbeit. Schon der weltreligiöse Goethe kannte allerdings die Faszination, die von einer solchen Bibliothek ausgeht. Was er im „West-östlichen Divan“ schrieb, wäre auch ein passendes Motto für den neuen Verlag: „Und so möcht’ ich alle Freunde / Jung und alt in Eins versammlen / Gar zu gern in deutscher Sprache / Paradieses-Worte stammlen.“