: Das ist der Hillary-Kniff
Beim Schaulauf der demokratischen PräsidentschaftskandidatInnen steckt Hillary Clinton alle in die Tasche
AUS MANCHESTER, NEW HAMPSHIRE ADRIENNE WOLTERSDORF
Im Walgreens-Supermarkt von Manchester ist an diesem Sonntagnachmittag viel los. Immer wieder kommen räuspernde junge Menschen in Regenmänteln herein und suchen in den Regalen nach Kräuterbonbons. Sie sind durchgefroren und heiser, vom Rufen und Singen. Draußen hat der Nieselregen Neuengland in Einheitsgrau getaucht – das Bühnenbild für die Mega-Aufführung. In den von Backsteinbauten flankierten Straßen Manchesters, einer Stadt im Bundesstaat New Hampshire, stehen Menschen, sie schwingen Schilder, machen Stimmung. Für John Edwards. Oder Barrack Obama. Oder gar für Chriss Dodd, den weißhaarigen Senator aus Connecticut, dem niemand sonst eine Chance gibt. In Manchester finden traditionell die ersten Primaries, das Kräftemessen der PräsidentschaftskandidatInnen, statt.
Pünktlich um sieben Uhr abends erscheint das landesweit bekannte Gesicht des Moderators Lou Dobbs auf den Fernsehbildschirmen, CNN sendet aus der umgebauten Sporthalle des Colleges. Dobbs wird von den Liberalen innig gehasst, er repräsentiert beim Nachrichtensender die populär-konservative Stimme und trommelt in seinen Sendungen gern gegen Migranten und für Amerikas Mittelklasse. Heute begrüßt er die acht demokratischen Kandidaten, die in einer Reihe hinter Stehpulten lächeln, als seien sie beim Fernsehquiz.
Zwei Stunden lang sollen die acht befragt, gegrillt und gegeneinander ausgespielt werden. Erst von Journalisten, dann, in entspannterer Sesselrunde, von Bürgern Connecticuts. Heute, am Dienstagabend, sind am gleichen Ort die republikanischen Kandidaten dran. Das Stück, das gegeben wird, ist hinlänglich bekannt – für die demokratischen Kandidaten ist es schon der dritte Auftritt, den sie in immer gleicher Dramaturgie absolvieren.
Die Diva des Abends wird von Hillary Clinton gegeben. Lächelnd, souverän, einfach „presidential“. Sie hat die Schlappen der vergangenen Wochen bestens überstanden, scheint es. Erst war es die nicht enden wollende Kritik an ihrer Zustimmung zum Irakkrieg im Jahr 2002. Dann – kurzes Bibbern im Hillary-Kampagnenlager – die Veröffentlichung zweier wenig schmeichelhafter Biografien über die ehemalige First Lady, ihren seit Jahrzehnten genährten Drang zur Macht und ihre angeblich ebenfalls seit Jahrzehnten kriselnde Ehe mit Bill und einen daraus resultierenden „Pakt“ der beiden, das Weiße Haus jeweils acht Jahre lang mit Hilfe des anderen zu besetzen.
Doch die Senatorin aus New York pariert die Anfeindungen gekonnt, manche Schmach lässt sie einfach an sich abperlen. Der Irakkrieg, sagt sie, sei George W. Bushs Krieg. Der zersplitterte Irak die Schuld der Iraker – die hätten ihre Chance nicht genutzt. Dann: „Ja, wir alle hier haben zwar etwas unterschiedliche Ansätze, aber wir demokratischen Kandidaten wollen alle unsere Truppen wieder nach Hause holen.“
Das ist der neue Hillary-Kniff. Sie spricht einfach für alle, so als gehöre sie gar nicht mehr zu dem sich balgenden Kandidatenhaufen. Mit ihrem Satz diktiert sie den sieben Männern die Spielregeln, sie selbst thront einfach nur.
Dennis Kucinich, der unterlegene, aber erfrischende Senator aus Ohio, Joe Biden, der Senator aus Delaware, der Außenseiter Mike Gravell und Gouverneur Bill Richardson beißen an. Sie beeilen sich wortreich zu erklären, dass sie sich sehr wohl voneinander unterscheiden. Und davon, dass der Krieg George W. Bushs alleiniger Krieg sei, könne ja wohl keine Rede sein. Die Demokraten, sie, Hillary, hätte schließlich zugestimmt. Doch ihr Angriff verpufft.
Barrack Obama ist an diesem Abend merkwürdig schwach. Er und John Edwards sind klug genug, Hillary nicht auf den Leim zu gehen. Sie distanzieren sich nicht von ihr, sie erklären einfach, was sie zu tun gedenken, um die US-Truppen nach Hause zu holen – von Abzugszeitplänen bis hin zum Einbinden der internationalen Gemeinschaft. Doch ihre Botschaften kommen merkwürdig kraftlos daher.
Obama, dessen Beliebtheit stetig wächst, stimmte kürzlich, genau wie Clinton, gegen eine Weiterfinanzierung des Krieges. Doch sein großes Plus, seine konsequente Ablehnung des Irakkrieges von Anbeginn, spielt der junge Senator an diesem Abend gar nicht aus. Nach der vierten Frage, die sich überraschenderweise bei den Kandidaten erkundigt, wie sie als Präsidenten mit Schwulen und Lesben im US-Militär umgehen würden, ist das Thema Irak im Grunde abgehakt.
Als die Moderatoren pflichtschuldigst Themen wie Krankenversicherung, Migration und Bildung abfragen, holen sich die Fernsehreporter, Radioleute und Zeitungsjournalisten die erste Runde Chips und Kaffee. Den Pressepulk haben die Organisatoren in einer anderen, kleineren Sporthalle einquartiert. Von hier aus sollen sie die Debatte vor Bildschirmen verfolgen. Als die CNN-Sendung zur Halbzeit und zum Umbau der Bühne kurz unterbrochen wird, ist die Spannung längst verpufft. Die Fragen, die das Wahlvolk – ein Assistenzprofessor, eine Grundschullehrerin und ein ehemaliger Frisörsalonbesitzer – an die Kandidaten stellt, sind so zahm, dass lange vor Debattenende schon Ebbe in den Chipskörben herrscht, während der Geräuschpegel steigt.
Bereits vor der letzten Frage stürmen die Journalisten in die benachbarte Basketballhalle. Hier geht traditionell der letzte Akt über die Bühne. Einem mittelalterlichen Markt der Möglichkeiten gleich, erwarten dort die Spin-Doktoren den Ansturm der Presse. Um acht jeweils mit dem Namen des Kandidaten gekennzeichnete kleine Podeste stehen Menschen, die irgendetwas über ihren Kandidaten zu sagen haben. AssistentInnen hinter ihnen halten Schilder mit ihren Namen hoch, damit die Journalisten wissen, wer da befragt werden kann. Einige Kandidaten kommen selbst, wie Chriss Dodd oder Bill Richardson. Mit Schubsen und Blitzlicht umringen die Reporter sie, bis schließlich noch die schwer krebskranke Frau von John Edwards kommt.
Die Reporter sind muffig, weil niemand etwas Kritisches sagt und weil Obama, Edwards und Clinton nicht kommen. Harold Wilson, einer von Clintons Spin-Doktoren, wirkt müde. Die letzten Wochen waren anstrengend, aber es hat sich gelohnt.