Der Tempelberg wird für Muslime und Juden gesperrt

ISRAEL Ein Anschlag auf einen religiösen jüdischen Aktivisten erhöht die Spannungen in Jerusalem

AUS JERUSALEM SUSANNE KNAUL

Der mutmaßliche Schütze, der ein Attentat auf den jüdischen rechtsreligiösen Aktivisten Jehuda Glick verübt haben soll, ist tot. Sicherheitskräfte stellten am Donnerstag früh den 32-jährigen Moatas Hidschasi in seinem Elternhaus und erschossen den Palästinenser offenbar bei einer Schießerei. Die Polizei vermutet, dass Hidschasi am Mittwochabend Glick im Anschluss an eine Diskussionsveranstaltung lebensgefährlich verletzte.

Augenzeugen berichteten von einem Motorradfahrer, der Glick auf Hebräisch mit arabischen Akzent ansprach, mehrere Kugeln auf ihn abfeuerte und floh. Der Tod Hidschasis löste erneut schwere Unruhen in Ostjerusalem aus. Die Sicherheitskräfte sperrten alle Zugänge zum Tempelberg mit der Begründung, weitere Gewalt zu verhindern.

Jehuda Glick ist Gründer und Chef der LIBA ( Jüdische Freiheit auf dem Tempelberg) und gilt als treibende Kraft im Kampf um Gebetsrechte für Juden auf dem Tempelberg. Bei der Veranstaltung im Begin-Kulturerbe-Zentrum am Mittwoch gehörte er zu den zentralen Rednern. Hidschasi, der im Restaurant des Zentrums arbeitete, kannte Glick offenbar persönlich. Auf der Agenda der Diskussionsveranstaltung stand die Veränderung des bisherigen Status quo.

Laut eines Berichts der liberalen Haaretz war unter den Teilnehmern auch eine Gruppe vertreten, die den Abriss der Al-Aksa-Moschee propagiert, um an ihrer Stelle einen dritten jüdischen Tempel zu errichten. Von dem zweiten Tempel, der im ersten Jahrhundert christlicher Zeitrechnung zerstört wurde, steht nur noch die westliche Mauer, die heute als wichtigstes jüdisches Heiligtum gilt.

Der Tempelberg wird von beiden Religionen beansprucht. Immer wieder kommt es hier zu Auseinandersetzungen. Im September 2000 löste der Besuch des damaligen israelischen Oppositionsführers Ariel Scharon auf dem Tempelberg die zweite Intifada aus. Die Zugänge zum Gelände des Tempelberges stehen unter strikter Sicherheitskontrolle der israelischen Armee. Zuständig ist die Waqf, eine Stiftung des islamischen Rechts, wobei das letzte Wort beim jordanische Königshaus liegt.

Zentraler Grund der sich seit Wochen zuspitzenden Anspannung in Jerusalem ist der Versuch von radikal-jüdischen Gruppen, das Alleinrecht von Muslimen, auf dem Tempelberg zu beten, zu durchbrechen. Mustafa Abu Sway, Islamwissenschaftler an der Al-Kuds-Universität, hält Israel dafür verantwortlich, sicherzustellen, „dass nur Muslime in der Al-Aksa-Moschee beten dürfen“. Die Besatzungsmacht habe dafür zu sorgen, dass der Status quo erhalten bleibe, meinte Abu Sway auf telefonische Anfrage. Die Schließung des Gebetshauses empfindet der Islamwissenschaftler als „Staatsterrorismus“ und „Religionskrieg“. Auch der palästinensische Präsident Mahmud Abbas nannte die Sperrung des Tempelbergs eine „Kriegserklärung“.

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