: Club der Ohnmächtigen
Die G-8-Staaten und ihre Regierungen können immer weniger bewegen. Umso wichtiger werden die Gipfeltreffen der Regierungschefs der größten Industrienationen: Sie symbolisieren Macht
VON NICOLA LIEBERT
Oft wird die G 8 wird als Club der Mächtigen bezeichnet. Aber wie viel Macht haben die Chefs der mächtigsten Industriestaaten der Welt tatsächlich? Und wer legitimiert sie zur Machtausübung? Als die britische Regierung vor zwei Jahren den G-8-Vorsitz innehatte, hat sie dazu auf ihrer Website Stellung genommen: Die Gruppe habe wirtschaftliche Macht, weil sie fast zwei Drittel des Weltsozialprodukts repräsentiert. Ihre Legitimität ergebe sich daraus, dass die acht Regierungen demokratisch gewählt seien. Und für den Rest der Welt wolle die G 8 gar nicht sprechen.
Eine gewagte Behauptung, mischt sich die G 8 doch ständig in Politikbereiche ein, die andere Länder betreffen: Handelspolitik zum Beispiel oder der bessere Schutz von Patenten der Industrieländer. Doch bewegen die Worte der G 8 auch wirklich etwas? Früher konnte die Gruppe zweifellos international den Ton angeben. So beschloss sie 1985 die Abwertung des hoffnungslos überbewerteten US-Dollar. Die gemeinsame Intervention war so erfolgreich, dass zwei Jahre später der Stopp der Dollarabwertung angeordnet wurde – mit ebenso großem Erfolg.
Heute dagegen werden die entscheidenden Finanzthemen – die Unterbewertung des Yen und Firmenübernahmen durch Heuschrecken-Fonds – schon vor dem Gipfel von der Tagesordnung genommen. Japan genießt dank seiner Billigwährung Wettbewerbsvorteile. Und die USA und Großbritannien verdienen so schön an Fonds, dass sie keiner Regulierung zustimmen wollen. Resultate sind Nichtstun und Wegsehen: das Gegenteil von Machtausübung.
Neben Uneinigkeit gibt es noch einen weiteren Grund für den G-8-Machtverlust: So etwas wie die Steuerung des Dollarkurses in den 80er-Jahren wäre heute kaum noch möglich. Die Devisenreserven der acht größten Industrieländer sind ein Klacks im Vergleich mit den Summen, über die Investmentfonds und asiatische Exportnationen verfügen.
Das gilt insbesondere für China, schon jetzt die viertgrößte Wirtschaftsmacht der Welt und gerade dabei, die Nummer drei, Deutschland, zu überholen. Die G 8 kann die Machtverschiebung nicht ignorieren und lädt China zusammen mit Indien, Mexiko, Brasilien und Südafrika nun zu den Gipfeln mit ein. Ihre Aufnahme ist indes nicht in Sicht.
Derzeit hat die G 8 keinen Plan, wie sie mit den veränderten Machtverhältnissen umgehen soll. Dies führte schon zu einem fast völligen Bedeutungsverlust der Gruppe innerhalb einer der wirklich mächtigen Organisationen der Welt, der Welthandelsorganisation (WTO). Dort bewegt sich gegen eine Allianz von Entwicklungs- und Schwellenländern nichts mehr.
Je weniger die G 8 gegen die neuen Wirtschaftsnationen des Südens erreicht, desto mehr konzentriert sie sich auf die ärmsten Länder, besonders in Afrika. 2005 hat die G 8 den Internationalen Währungsfonds (IWF) und die Weltbank dazu gebracht, diesen Ländern ihre Schulden zu erlassen. Allerdings lassen sich auch hier die Grenzen der Macht der Gruppe erkennen: Die Aufforderung an IWF und Weltbank war zugleich das Eingeständnis, dass die Industrienationen mit ihrer eigenen Schuldenerlassinitiative von 1996 nichts erreicht hatten. Die betroffenen Länder konnten ihre Schulden ohnehin nicht mehr abzahlen. Auch wenn die nominale Schuldensumme nun verringert wurde, hatten sie nicht mehr Geld in der Kasse. Im Übrigen schafft es die G 8 nicht mal, ihre eigenen Entwicklungshilfeversprechen zu erfüllen. Weniger als ein Zehntel der 2005 zugesagten Afrikahilfe wurde bislang ausgezahlt.
Ist es da nicht verwunderlich, dass 2.000 Teilnehmer, 4.000 Journalisten und zigtausende Demonstranten eigens nach Heiligendamm reisen? Nein, denn Heiligendamm ist ein Mediengipfel. Je weniger reale Macht die Politiker ausüben können, desto wichtiger wird die symbolische Machtausübung. Die mächtigen Industrienationen sind sich bei fast allen wichtigen Themen uneins, beim Klimaschutz ebenso wie beim Umgang mit dem Iran, und über heikle Punkte wie den Streit über einen US-Raketenschild redet man gar nicht erst. Aber der G-8-Gipfel bietet gerade dank seiner informellen Strukturen den großen Industriestaaten die Gelegenheit, trotz aller Differenzen ihre politischen Claims gegenüber dem Rest der Welt abzustecken. Zumindest einmal im Jahr darf man so tun, als hätte man die Sache noch im Griff.