: „Es gäbe Unruhe“
JETZT MAL IM ERNST … Wieso hebt keiner das Gesetz zur „entarteten Kunst“ auf, Imke Gielen? Die Anwältin erklärt
■ 48, ist Rechtsanwältin und Spezialistin für Restitution, also die Rückgabe von enteigneten Kulturgütern. Ihre Kanzlei vertritt jüdische Familien, die ihren Besitz während der NS-Zeit verloren haben.
INTERVIEW LAURA BACKES
taz: Frau Gielen, deutschen Museen wurden 1938 in der Aktion „Entartete Kunst“ Tausende Kunstwerke entzogen. Wieso bekommen sie die heute nicht zurück?
Imke Gielen: Es hat im Deutschen Reich 1938 ein Gesetz über die Einziehung „entarteter Kunst“ gegeben. Schon ein Jahr zuvor wurden Gemälde von den Nazis eingezogen, das Gesetz hat die Aktion rechtskräftig gemacht. Die Kunstwerke wurden also nicht einfach entwendet, denn die staatlichen Museen gehörten zum Deutschen Reich. Deshalb waren die Machthaber frei, mit der ihnen nicht genehmen Kunst zu verfahren.
Die Enteignung „entarteter Kunst“ war also kein Raub?
NS-Raubkunst ist Kunst, die jüdische oder andere verfolgte Sammler in der NS-Zeit verloren haben. Durch Zwangsverkauf oder Beschlagnahmung. 1998 beschlossen 44 Staaten in Washington, ihre Bestände auf NS-Raubkunst durchzusehen und Werke zurückzugeben oder sich mit den rechtmäßigen Besitzern zu einigen. Die jüdischen Sammler wurden verfolgt. Bei der „entarteten Kunst“ wurden nicht die Museen diffamiert, sondern die Kunst. Und deren Schöpfer.
Das Gesetz von 1938 ist zwar ausgesetzt, aber bis heute nicht aufgehoben. Was bedeutet das?
Die Alliierten haben nach dem Krieg geprüft, welche Gesetze aus der NS-Zeit aufgehoben werden sollen. Das Gesetz über die Einziehung entarteter Kunst fiel nicht darunter. Der Grund war wohl damals schon die Rechtssicherheit des Kunstmarktes. Die Nazis haben zwar einige Kunstwerke zerstört, aber einen großen Teil haben sie verkauft, vor allem ins Ausland. Viele der Werke waren schon während des Kriegs auf dem Kunstmarkt. Bis 1968 war das Gesetz also in der BRD gültig. Dann wurde festgeschrieben, welche Gesetze in das Bundesrecht übernommen werden, da war es nicht dabei. Es ist also kein geltendes Recht. Offiziell aufgehoben ist es nicht.
Könnte man es denn aufheben?
Schwierig. Man kann nur Gesetze aufheben, die gelten.
Welche Konsequenzen hätte es, wenn die Bundesregierung das trotzdem tun würde?
Das hätte erhebliche Folgen für den Kunstmarkt. Die Kunst ist in aller Welt verstreut. Auf dem Kunstmarkt würde große Unruhe entstehen, auch wenn viele Sammler sich vermutlich auf „gutgläubigen Erwerb“ und „Ersitzung“ berufen könnten, je nach Rechtsordnung. Und auch bei den Museen, die ja viele der Gemälde heute besitzen, gäbe es Unruhe. Das betrifft nicht nur ausländische Häuser, sondern auch deutsche.
Eine Sonderrolle spielen die städtischen Museen. Deren Besitz wurde eingezogen, obwohl sie nicht direkt dem Deutschen Reich unterstellt waren.
Die sind enteignet worden, weil sie öffentliche Sammlungen waren. Das mag selbst nach damaligem Gesetz rechtswidrig gewesen sein. Deswegen ist es aber nicht automatisch nichtig. Trotzdem hat man als städtisches Museum noch eher einen Ansatzpunkt, Ansprüche zu erheben, wenn Werke auftauchen.
Es geht auch um Gemälde von Privatpersonen. Die Erben von Sophie Lissitzky-Küppers etwa wollen die „Sumpflegende“ Paul Klees vom Lenbachhaus München zurück. Sie war damals als Leihgabe ausgestellt und wurde mit anderen „entarteten“ Werken eingezogen.
Es handelte sich um einen Privatbesitzer und der Entzug war deshalb unrechtmäßig. Das ist eindeutig, macht es aber nicht einfacher. Das Gerichtsverfahren in München ist noch offen.
Glauben Sie, dass es irgendwann klare juristische Richtlinien geben wird?
Für Privatpersonen und städtische Museen werden Rückforderungen ein Kampf bleiben.