: Die Denkmalpfleger von Pompeji
ITALIEN Falsches Management, Geldmangel und das Wetter machen dem antiken Pompeji zu schaffen. Die größte Ruine der Welt zerfällt zunehmend
■ Das moderne Pompeji, etwa 20 Kilometer südlich von Neapel, liegt oberhalb des Ausgrabungsareals und gehört zu der eher tristen Peripherie Neapels.
■ Das antike Pompeji (wie auch Ercolano) ist gut erreichbar mit dem Vorortzug, der Circumvesuviana, die unter anderem ab Neapel Stazione Garibaldi im Halbstundentakt fährt.
■ Eintritt: 11 Euro. Für Pompeji/Ercolano plus drei weitere antike Stätten gibt es auch ein 3-Tage-Ticket für 20 Euro.
■ Lesetipps: Richard Harris hat mit „Pompeji“ einen historischen Roman geschrieben und in guter britischer Tradition historische Fakten und fiktive Charaktere in einen soliden Thriller gepackt. Helmut Krausser hat „Die wilden Hunde von Pompeii“ erlebt und ihnen eine ziemlich heitere und anarchische Erzählung entlockt.
VON SABINE SEIFERT
Auf ein Jahr Ausgrabung kommen fünf Jahre Konservierung“, sagt Umberto Pappalardo. Er verzieht das Gesicht. Wie die meisten Archäologen ist er der Meinung, dass in Pompeji keine weiteren Ausgrabungen stattfinden sollten, da man schon genug damit zu tun hat, das bereits Ausgegrabene zu bewahren.
Nur 14 Prozent des 44 Hektar großen Areals sind zurzeit überhaupt für die Öffentlichkeit zugänglich; weitere 22 Hektar sind noch überhaupt nicht erschlossen. Das hat zumindest den Vorteil, dass das, was unter der erkalteten Lava ruht, bestens konserviert bleibt. Es ist Montag früh und vermutlich der einzige Zeitpunkt in der Woche, in der man ohne Schlangestehen das antike Pompeji betreten kann. Elf Euro Eintritt für die größte Stadtruine der Welt.
Bis zu drei Millionen Besucher kommen jährlich nach Pompeji. Man müsse den historischen Ort vor den Touristenhorden schützen, sagen einige. Das sei unnötig, sagt Pappalardo. Die Eintrittsgelder sind eine der wenigen verlässlichen Einnahmequellen. Denn auch wenn Pompeji zum Weltkulturerbe zählt, so bringt das keinen Centesimo.
„Es fehlt vor allem an Geld“, sagt Pappalardo. „Der Staat ist pleite.“ Er klingt genervt. Hat der Staat kein Geld oder gibt er keines? Nutzlose Diskussion, fest steht: Ein Kulturetat ist seit den Jahren der Berlusconi-Regierung quasi nicht existent. Gerade mal 0,2 Prozent des Staatshaushaltes sind für die Kultur vorgesehen. Das ist nichts, wirklich nichts. Schon vor drei Jahren hatte Berlusconi den Notstand für Pompeji ausrufen lassen, Sonderkommissare berufen. Das Verwaltungschaos nahm dadurch eher zu. Seither macht auch das Wort „valorizzazione“ die Runde. Valore heißt Wert. Valorizzazione meint aber nicht etwa: Wertschätzung, sondern Verwertung – und zwar möglichst gewinnbringend. Marketing also. Die Sponsoren, die Berlusconi für Pompeji vorschwebten, blieben aus; Pompeji verfiel weiter.
Im November vergangenen Jahres stürzte die „Domus dei Gladiatori“ ein. Ein Aufschrei ging durch die internationale Presse, der Kulturminister musste gehen. In den Jahren zuvor sind, sagen die Archäologen, wichtigere Häuser eingestürzt.
Das Gebiet um die Gladiatorenschule ist weiträumig mit weiß-roten Plastikbändern und Gittern für Besucher abgesperrt. Auf sie stößt man in Pompeji überall. Und auf Schilder, die knapp „Zutritt verboten“ oder „Bauarbeiten“ verkünden.
An einer Stelle schlüpfen Touristen unter dem Absperrband durch – in einen alten wiederbepflanzten Weingarten. Normalerweise wäre auch die Berichterstatterin der Neugier gefolgt und mit durchgeschlüpft, hätte sie nicht vorher Stefano Vanacore kennengelernt.
Die Touristen stören nicht, sagt der Leiter der Denkmalpflege. Aber: Sie seien an Museen gewöhnt. Guckten nach oben statt nach unten. Nähmen nicht wahr, wo sie hinträten. Das historische Straßenpflaster. Mosaiken. Frisch Angepflanztes. Pompeji ist ein Gesamtkunstwerk, eine alte abgetakelte Fregatte aus der Vorzeit, mitten im mafios infiltrierten Hinterland am Golf von Neapel gestrandet.
Schatzsucher gibt es mehr als Rettungstrupps. Und zu wenig Wachleute. Auch die Verwaltungsstrukturen sind überholt und verkrustet. Nachdem Pompeji 1997 in der Verwaltung und in den Finanzen eine gewisse Autonomie gewährt wurde, hat man versäumt, auch zeitgemäße Strukturen zu schaffen. Der Verwaltungsapparat mit ungeschulten Kräften ist aufgebläht; Fachpersonal – Techniker, Denkmalpfleger, Archäologen – dagegen kaum vorhanden.
Auf hundert Verwaltungsangestellte kommen zehn Archäologen, schätzt Signore Pappalardo. Und festangestellte Restauratoren wie Stefano Vanacore gibt es nur drei.
Das Büro der Werkstätten, die Vanacore leitet, liegt im hinteren Teil eines alten Palazzo auf dem Ausgrabungsgelände. Ein Kollege serviert Espresso in kleinen Plastikbechern. „Unser größter Feind ist die Feuchtigkeit“, sagt Vanacore. Die Feuchtigkeit dringt in den Stein, wäscht Salze heraus, setzt den Farben zu.
Alle Villen in Pompeji besaßen großartige Wandmalereien, die direkt auf Putz aufgetragen wurden. Für die Wandmalereien, Mosaiken, Fresken, Säulen, Brunnen, ja selbst für das antike Straßenpflaster aus Basalt sind die Restauratoren von Pompeji zuständig. Ein Fass ohne Boden, ein Wettlauf gegen die Zeit. 1.500 große Objekte: Wohnhäuser Tempel, Thermen, Arenen, Foren. Für regelmäßige Inspektionen, Instandhaltung fehlen die Mittel, die Leute, sagt Vanacore.
Außerdem gibt es Sünden der Vergangenheit wettzumachen. So habe man früher zur Konservierung falsche Materialien benutzt, erläutert der Chefrestaurator. Bis in die 70er Jahre hinein habe man mit Wachs bei den Wandmalereien gearbeitet. Dieser legte zwar eine Schutzschicht darüber, veränderte aber auch die Farben, ging unter die Pigmente und löste sie auf.
Häuser versuchte man durch das Einziehen von Betondecken zu stabilisieren. Viel zu schwer, weiß man heute. Manche Villa ist infolgedessen eingestürzt.
„Pompeji müsste eigentlich komplett überdacht werden.“ Das ist Stefano Vanacores Traum. Denn die Überdachung böte Schutz vor Regen, Licht und Sonne. Da die Farben der Wandmalereien in Pompeji nicht restauriert werden, wie bei Gemälden etwa, sondern nur entstaubt und abgewaschen, ist es wichtig, sie so gut wie möglich zu erhalten. „Alle Schichten, das ist wichtig“, wiederholt Vanacore. Deshalb sind nun an der Casa dei Cei die alten Wahlinschriften unter Plexiglas mit UV-Filter gesichert.
Pompeji müsste doch ein Ausgrabungsparadies für Archäologen sein, oder? Schon. Aber: „Die ausländischen Unis kommen, machen ihre Grabungen und gehen wieder“, sagt Pappalardo achselzuckend. Der Archäologe hat ein schönes und sündhaft teures Buch über die Wandmalereien der Pompejanischen Häuser veröffentlicht. Auch mit den Sponsoren ist es nicht viel besser, weiß die Soprintendente Teresa Elena Cinquantaquattro. „Es ist nicht so schwer, einen Sponsor zu finden, der das Colosseum restaurieren und in altem Glanz erstrahlen sehen will.“ Doch was dann? „Jemanden für die planmäßige Instandhaltung zu begeistern, so weit sind wir noch nicht“, sagt sie nur.
Die Soprintendente – im Übrigen die vierte in Folge seit 2009 – hat ein großes Arbeitsgebiet: Sie ist Chefin der Denkmalpflege aller Vesuvstätten – also nicht nur für Pompeji, sondern auch für Ercolano (Herculaneum) und Neapel. In Ercolano wird an diesem Dienstag der Decumano Massimo, eine der Hauptachsen des ebenfalls vom Vesuv in Lava und Asche gelegten Städtchens, für die Öffentlichkeit wieder zugänglich gemacht. Ermöglicht hat das ein interdisziplinäres und internationales Wissenschaftlerteam des Herculaneum Conservation Projects (HCP), getragen vom US-amerikanischen Packard Humanities Institute sowie der British School of Rome.
Zehn Jahre arbeitet das Team nun vor Ort, das erstaunlich jung und weiblich ist. Die US-Archäologin Jane Thompson war von Anfang an dabei.
Ist das Kooperationsmodell auf Pompeji übertragbar? Natürlich, sagt Thompson. Der langjährige Leiter von HCP, Andrew Wallace-Hadrill, pflichtet ihr bei. Pompeji sei zwar größer und habe andere Probleme als das besser erhaltene Ercolano – in Pompeji sind’s die Farben, in Ercolano das Holz, und bei beiden ist es die Feuchtigkeit! Überdachung und die Wiederinstandsetzung des alten Kanalisationssystems haben oberste Priorität, hier wie da.
„Back to Basics!“ ist seine Losung. Wasserrohre flicken, Dächer reparieren, Gullys entmüllen. Infrastruktur statt aufwändiger Einzelrestaurierungen von Prestigeobjekten wie der – allerdings wunderschönen – Villa dei Misteri in Pompeji. Licht fällt durch die offenen Fenster in die Innenräume des großen Hauses, mit seinen aufgefrischten, dominierend roten Wandgemälden, die wohl Szenen des Dionysoskultes zeigen. Man ist drinnen und draußen zugleich. Im Halbdunkel der Geschichte, die sich hier erahnen lässt.
Soprintendente Cinquantaquattro hofft auf neue Mäzene, neue Projekte für Pompeji, die wie das HCP außerhalb der italienischen Bürokratie interdisziplinär arbeiten. Die Mitarbeiter vom Herculaneum Conservation Project haben gut reden. Wo bei ihnen 30 Restauratoren arbeiten, sind es in Pompeji drei.
Denkmalpfleger Stefano Vanacore sagt: „Eigentlich können wir den Bourbonen dankbar sein. Die haben hier alles weggeschleppt.“ Fresken, Skulpturen, Vasen, alles was nicht niet- und nagelfest war. „Heute befindet sich das alles gut erhalten im Museum.“ Zu besichtigen im Museo Archeologico in Neapel. Wenn es denn auf hat. Pompeji ist ganzjährig geöffnet.