: „Wertung ist nicht unser Ziel“
25 JAHRE MAUERFALL Zeitzeugenbörse präsentiert ein Buch mit Berichten über den Alltag in der Ex-DDR
■ 51, Psychologe, ist Geschäftsführer des Seniorenbüros Hamburg, das die Zeitzeugenbörse betreibt.
taz: Herr Kluge, wieso brauchen wir noch ein Zeitzeugenbuch über das einst geteilte Deutschland?
Ulrich Kluge: Weil unser Band „2x Deutschland“ das Thema so aufbereitet, dass es für Jüngere interessant ist. Wir möchten es auch an Schulen vorstellen.
Herausgeberin ist die von Ihnen betreute Zeitzeugenbörse. Was ist das?
Eine auf verschiedene Stadtteile verteilte Gruppe von Menschen, die sich seit 17 Jahren trifft – insbesondere Zeitzeugen des Nationalsozialismus. Sie haben das Ziel, authentisch Erlebtes so aufzubereiten, dass es für Jüngere nachvollziehbar ist, indem man den historischen Kontext und Abkürzungen erklärt.
Und was steht in dem Buch?
25 kurze Geschichten – punktuelle biografische Erlebnisse von Menschen, die in der einstigen DDR gelebt haben. Dabei geht es weniger um Dramatik und politische Wertung, als um den Alltag. Zum Beispiel darum, zu erklären, warum jemand – vor oder nach dem Mauerbau – aus der DDR floh. Wichtig ist dabei: Es sind subjektiv erlebte Geschichten von Menschen, die jetzt in Hamburg leben.
Wer sind die Schreiber?
Die jüngsten sind Mitte 40 und berichten über ihre Flucht über Ungarn aus der DDR. Wir haben aber auch Zeitzeugen, die in den 1950er-Jahren in der DDR lebten und vorm Mauerbau 1962 geflohen sind, „rübergemacht“, wie man damals sagte.
Schreiben sowohl Täter als auch Opfer der DDR-Diktatur?
Das ist nicht unser Fokus. Es geht um die täglichen Auswirkungen des Systems – zum Beispiel die unglaublichen Einreise-Erschwernisse, die zeigen, wie ängstlich dieser Staat war, dass er sich so schützen musste. Um andererseits zu zeigen, wie der Mauerbau offiziell „verkauft“ wurde, haben wir einen – anonymisierten – Briefwechsel, in dem eine stramme Parteigenossin erklärt, warum sie es richtig fand, dass die Mauer gebaut wurde.
Haben Sie auch Berichte von Bespitzelung oder aus den Stasi-Knästen?
Nein, weil keiner der Menschen, die an unserem Buchprojekt beteiligt waren, darüber ausdrücklich gesprochen hat. Viele haben auch erlebt, dass Freunde in den Stasi-Akten nachsahen und dann höchst erstaunt waren. Daraufhin hat manch einer verzichtet, seinerseits nachzusehen.INTERVIEW: PS
Lesung und Diskussion zum Buch „2x Deutschland – Zeitzeugen erinnern sich an zwei deutsche Staaten“ der Hamburger Zeitzeugenbörse: 16 Uhr, Staats und Universitätsbibliothek, Von-Melle-Park 3