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Archiv-Artikel

Preisgekrönter Außenseiter der Literatur

In seinem Roman „Das Beben“ beschreibt der 1951 geborene Autor Martin Mosebach eine sonderbare Vision vom heiligen Tier der Hindus. Eine Kuh stapft darin durch deutsche Autobahnen und Talkshows – und zerkaut gleichmütig Manuskripte von Boulevardsendungen und TV-Moderatoren. Nicht nur weil er schon immer ein Faible für Tiere hatte: Diese Szene ist bezeichnend für Mosebachs Werk, das nun mit dem Büchnerpreis, Deutschlands renommiertestem Literaturpreis, ausgezeichnet wird.

Hinter der teilweise karnevalistischen Zuwendung zum Tierreich – Debatten um Nashörner in der Schweiz, scheiternde Tigerexpeditionen – verbirgt sich ein tiefes kulturelles Unbehagen. Für den in Frankfurt lebenden Autor ist der denkende, schreibende Mensch eine höchst gefährdete Spezies und sein Überleben im monströsen Wuchern eines Dschungels aus Pop und Boulevard mehr als ungewiss.

Gerade darin ist Martin Mosebach der Begleiter eines sich derzeit manifestierenden gesellschaftlichen Selbstbildnisses. Ins Extreme gewandt, wähnt es sich in der Gnade der Minderheit, gerade weil es die Ansprüche der Mehrheit für schlicht obszön hält. Gleichgültig, in welchem Teil des Werkes von Mosebach man sucht – ob Essay, Drama oder in einem seiner zahlreichen Romane –, man findet in ihm, was die Adligen im alten Athen ebenso vermissten: Die „Bestenherrschaft“ kann sich aus der Sicht Mosebachs unter den Bedingungen eines vollkommenen Plebiszits nicht vollziehen. Die Demokratie ist durch ihr Prinzip zur Massenherrschaft eine Farce.

Wer vor 30 Jahren so geraunt hätte, wäre mit einem dunkelbraunem Anstrich versehen worden. Aber Martin Mosebach ist weit davon entfernt, ein Rechter zu sein. Sein Essayband „Schöne Literatur“ offenbart viel mehr das Interesse für literarische Außenseiter. Darin erkennt Mosebach keineswegs Idylle oder Weltflucht. Im Gegenteil: Durch die Distanz sieht man schärfer.

Letztlich ist Mosebach ein parteiloser Modernisierungsverweigerer. Er artikuliert ein Bildungsbedürfnis, das aus einer Sehnsucht nach Wertigkeit, die aus Tradition, Mentalität und Geschichte erwächst – und sich nur mit Ironie ertragen lässt. Dabei ist Mosebach konsequent. In dem Buch „Häresie der Formlosigkeit“ analysiert er die Folgen der Entscheidung des Zweiten Vatikanischen Konzils von 1965. Dass die Messe nicht mehr auf Latein gehalten wurde, ist für Mosebach Zeichen ihres Substanzverlustes.

Wie dem auch sei: Mit Martin Mosebach wird jedenfalls ein Autor geehrt, dessen Stil bemerkenswert, bisweilen brillant erscheint – was gerade ein Resultat seiner inneren Gegensätze ist. MANUEL KARASEK