: „Trink Tee, trink Tee!“
VORTRAG Ein Translationswissenschaftler erörtert „Stilblüten aus dem Reich der Mitte“
■ 75, ist Dolmetscher, Übersetzer und Translationswissenschaftler, zuletzt an der Uni Mainz. Kautz hat Bücher chinesischer Autoren wie Deng Youmei, Yu Hua und Wang Gang ins Deutsche übersetzt.
taz: Herr Kautz, was muss ein guter Deutsch-Chinesisch-Übersetzer mitbringen?
Ulrich Kautz: Er sollte sich immer die Frage stellen, wie viel Exotik der Leser verträgt. Man kann Chinesisch nicht eins zu eins übersetzen, so wie es zum Beispiel bei Englisch ja oft möglich ist. Das liegt einerseits daran, dass Chinesisch einer anderen Sprachfamilie angehört, andererseits aber auch daran, dass die chinesische Kultur eine völlig andere ist – das fängt mit den Essgewohnheiten an und hört bei Konfuzius auf.
Und davon verträgt der westliche Leser nicht alles?
Er versteht zumindest nicht alles. Es gibt zum Beispiel einen Mittags-Gruß, der übersetzt bedeutet: „Hast du heute schon gegessen?“ Die wörtliche Übersetzung wird nicht einmal als Grußformel erkannt – und trotzdem gibt es Kollegen, die das wörtlich übersetzen. Oder in der deutschen Synchronfassung eines chinesischen Films, den ich neulich gesehen habe: Da begrüßt eine Frau den Bürgermeister, der zu Besuch kommt, mit den Worten: „Trink Tee, trink Tee, trink Tee, trink Tee!“ Kein Deutscher versteht, dass sie sinngemäß eigentlich sagt: „Komm doch rein, dann trinken wir Tee.“
Warum passieren solche Fehler?
Ich glaube, weil viele Übersetzer zwar Sinologie studiert, aber nicht das Übersetzen gelernt haben. Ich habe manchmal das Gefühl, dass da für Kollegen übersetzt wird, aber nicht für die Leser. Ich muss aber auch einräumen, dass man sich beim Übersetzen oft in einem Zwiespalt befindet.
Inwiefern?
Der Leser will ja auch etwas erfahren über die chinesische Kultur, also zum Beispiel, wie die Menschen sich dort begrüßen. Da muss man einen vernünftigen Mittelweg finden, damit man kulturelle Besonderheiten nicht unterschlägt, der Leser aber trotzdem noch alles versteht. Vom berühmten „goldenen Mittelweg“ spricht ja auch die chinesische Philosophie. INTERVIEW: SCHN
18 Uhr, Zentralbibliothek