Wieder steht ein Kantor auf der Kippe

Die Kirchenmusik ist in einem guten Fahrwasser, sagt der Landeskirchenmusikdirektor. Der Fall Alexander Lang zeigt, dass das nicht die Wahrheit ist. Am Schwarzen Brett wurde seine Abmahnung öffentlich gemacht. Der dritte Kantor-Fall in diesem Jahr

Von Klaus Wolschner

Die Gemeinden der Bremischen Evangelischen Kirche müssen sparen, in der Gemeinde Horn sind das sogar zwischen 30 und 40 Prozent der Personalkosten. Die Entscheidung im Kirchenvorstand ist klar: Nicht an den zwei Pfarrstellen wird gespart, sondern an der Musik, beim Kantor. Er spielt die Orgel, wunderbar, das sagen eigentlich alle in der Gemeinde. Er spricht Jugendliche an, mit modernen Rhythmen, das finden schon nicht mehr alle gut. Er leitet Chöre, kann selbst gut singen, ein Kirchenmusiker mit „A“-Examen auf einer nach „B“ bezahlten Stelle. Was will man eigentlich mehr. Zwar hat er 2004 einen unbefristeten Vertrag bekommen, aber 2009 soll er weg sein, jedenfalls die Hälfte seiner Stelle.

Vor einer Woche hing am schwarzen Brett am Eingang zum Gemeindehaus der alten Horner Kirche die Tagesordnung des Kirchenvorstandes vom 13. Juni. Tagesordnungspunkt 11: „Abmahnung A. Lang.“ Das ist er, der Kantor. Alexander Lang selbst möchte darüber nicht sprechen, es wurde ihm schon angekreidet, dass er gegenüber Chormitgliedern darüber geredet habe.

Auch der Kirchenvorstand will über die Gründe der Abmahnung nicht reden, aber im engeren Kreis der kleinen Gemeinde wissen doch alle, worum es geht. „Vertragswidriges Verhalten“, sagt Ulrike Gleemann-Ritter, stellvertretende Bauherrin, er habe gegen die Pflicht, „zum Wohle der Gemeinschaft“ zu arbeiten, verstoßen.

Andere sagen das deutlicher. Das Orgelvorspiel für die Lieder im Gottesdienst spielt er zu schnell, zu viele Verzierungen. Die liturgischen Passagen in der „Lutherischen Messe“ spielt er bis heute nicht so, wie man das von ihm erwartet. Da wissen einige der älteren Damen sehr genau, wie ein Kantor seine Arbeit zu machen hat – und der mit 38 eher junge Kantor – jedenfalls im Vergleich zum sonstigen Altersdurchschnitt der Gemeinde – erweist sich als sperrig. Hat seine eigenen Vorstellungen über die Rolle der Kirchenmusik im 21. Jahrhundert. Und dann kam die Chorprobe am 9. Mai, es ging um die Vorbereitung zum Konfirmationsgottesdienst. Da wollte er partout nicht die alten Lieder für die Konfirmation einüben. „Nie nimmt er Rücksicht auf uns“, kam der Vorwurf aus den Kreisen der älteren Chormitglieder.

Es gibt durchaus ältere Chorsängerinnen, die zu dem Kantor stehen. Da ist zum Beispiel Helga Klingebiel, immerhin schon 84 und sehr aktiv im Chor. „Ich bin zufrieden mit ihm“, sagt sie, wunderbare Erfolge habe man ihm zu verdanken. Geradezu „mies“ findet sie, dass man ihn abmahnen wolle – „er hat sich nichts zuschulden kommen lassen“. Sie gehört zu denen, die es bewundernswert finden, wie er gerade auch Jüngere anspricht, was die Gemeinde dringend brauche. Gerade bei dem Konfirmationsgottesdienst ist dies gelungen, sogar der stellvertretende Polizeipräsident, dessen Sohn dabei war, schrieb hinterher einen Dankesbrief an den Kantor. Lang hat einmal als sein Ziel formuliert, „dass über die Musik junge Leute zum Glauben finden können“. Nicht um den Pastor stand nach der Feier eine Traube Jugendlicher, um sich über die interessante Predigt zu unterhalten, sondern um den Kantor. Da gibt es – wie auch in anderen Kirchengemeinden – das Phänomen der Konkurrenz.

Der Kantor dient nicht der Liturgie und der Gemeinde, er hat seine eigene Vorstellung von Musik. „Er ist absolut unmöglich“, sagt Kirchenvorstand Hanna Thyssen, „ein Egoman“. Und nicht kritikfähig. Wegen der Musik dürfe man keine neue Spaltung riskieren. Die hat die Gemeinde gerade hinter sich und „bis heute nicht verkraftet“: 1946 hatte sich „Horn II“ von „Horn I“ getrennt. Die Liberalen von Horn II wollten den Kirchgängern im 20. Jahrhundert nicht mehr zumuten, allsonntäglich Dinge zu sprechen wie „geboren von der Jungfrau Maria“ und „aufgefahren gen Himmel“. Die von Horn I dagegen orientierten sich liturgisch streng an dem, was Martin Luther vor 500 Jahren gesagt hat: In Horn wird heute noch eine „Deutsche Messe“ gefeiert, oder samstags die „Vesper“, sogar zu „Mariä Lichtmess“ gibt es in der protestantischen Kirche einen Gottesdienst – „ziemlich katholisch“ finden das die anderen. Dazu soll der Kantor die Musik im alten Stil machen. Einige der älteren Damen wollten den Kantor in die Mitte nehmen und ihm deutlich machen, welchen Dienst die Gemeinde von ihm erwartet. Eine ist sogar, sagt ein Kirchenvorstandsmitglied, „ziemlich vernarrt in ihn“. Der Polizei hat er den Fall als „Stalking“ gemeldet, weil er telefonisch auch nachts belästigt wird. Auch dieses Problem könnte gelöst werden – wenn er geht, heißt es aus Kreisen des Kirchenvorstands.

Der Konflikt ist im Gottesdienst eskaliert. Da ist ein Chormitglied nach vorn gegangen und hat eine „Fürbitte“ formuliert – für den Kantor und gegen das öffentliche an den Pranger stellen. Ein anderes Gemeindemitglied ist demonstrativ rausgegangen.

Die Leitung der bremischen Kirche ist informiert und hält sich bisher heraus. „Alles läuft seinen geregelten Gang“, hat der Landeskirchenmusikdirektor Ansgar Müller-Nanninga in der Mai-Ausgabe der Kirchenzeitung „Forum“ auf besorgte Fragen nach der Zukunft der Kirchenmusik erklärt. Das war allgemein gemeint, obwohl er in dem Interview direkt auf den Fall der Friedenskirche und den des Dom-Kantors angesprochen wurde. „Kirchenmusik in gutem Fahrwasser“ lautet die Überschrift in der Kirchenzeitung. Das ist, freundlich gewertet, Heuchelei.