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Archiv-Artikel

„Bei uns gibt es keine urbane Tradition“

Slowakischer Gegenwartsdramatik gilt der heutige Abend am Hamburger Schauspielhaus. Präsentiert werden Werke von Eva Maliti Fraňová und Michal Hvorecký. Ein Gespräch mit Kulturmanagerin Marina Vannayova. Sie hat die Stücke ausgesucht

MARTINA VANNAYOVA, 29, ist Dramaturgin am Theaterinstitut Bratislava und als Stipendiatin der Robert Bosch Stiftung in Deutschland.

taz: Frau Vannayova, haben Sie für den heutigen Abend repräsentative Autoren gewählt?

Martina Vannayova: Ja. Eva Maliti Fraňová steht für die Generation derer, die den Kommunismus noch erlebt haben. Theaterstücke schreibt sie erst seit kurzem. Eigentlich ist sie Übersetzerin und Prosa-Autorin. Michal Hvorecký, der zweite Autor, ist 30 und steht für die Jüngeren, die sich mit der Transformation der Gesellschaft befassen.

Was zeichnet die slowakische Gegenwartsdramatik aus?

Hierfür ist wichtig zu wissen, dass die Slowakei keine urbane Struktur hat. Unser Staat ist ländlich geprägt, und das spiegelt auch die Literatur. Natur, Intuition, Irrationales und Mystisches spielen eine große Rolle. Eine urbane Tradition dagegen gibt es nicht. Und obwohl sich die junge Generation natürlich mit Problemen des Kapitalismus befasst, ist die andere Tradition stets präsent.

Gibt es nationalistische Tendenzen in der slowakischen Literatur?

Es gibt die zwar in der Gesellschaft, was sich darin spiegelt, dass seit 2006 die nationalistische Partei mitregiert. Aber von den Intellektuellen hat die keiner gewählt. Es gibt keine Autoren, die entsprechendes Gedankengut verbreiten.

Ist die slowakische Gegenwartsdramatik politisch?

Sie ist nicht politisch. Ich wünschte mir, dass sie das wäre, denn Themen gäbe es genug. Es gibt vieles, das in unserer Gesellschaft nicht funktioniert, und die Dramatiker reflektieren das nicht genug. Diese Dramatik ist sozusagen weich.

Warum? Haben die Autoren Angst?

Ich denke, dass es mit der Angst nichts zu tun hat. Während des 40 Jahre dauernden kommunistischen Regimes konnten wir uns nicht frei äußern. Die Autoren waren deshalb sehr erfinderisch, wenn es darum ging, Metaphern zu entwickeln, die das Regime kritisierten. Paradoxerweise fiel es denselben Autoren nach der Wende schwer, andere Formen zu schaffen, die die neuen Probleme reflektierten.

Welches Timbre prägt die aktuelle slowakische Literatur?

Optimistisch auf keinen Fall. Zweifelnd vielleicht. Gemischt mit ein bisschen Verzweiflung, weil Kultur kaum gefördert wird. Auch die neue Regierung fördern nicht die unabhängigen Kulturschaffenden, obwohl die dringend darauf angewiesen wären. Es gibt kein System aus Stiftungen oder anderen Sponsoren, die man ansprechen könnte.

Welche Institutionen fördert der slowakische Staat denn stattdessen?

Vor allem das Nationaltheater in Bratislava und das Staatstheater in Kosice. Daneben gibt es kommunale und regionale Theater, die im Wesentlichen staatliche Gelder bekommen. An einigen dieser Häuser können zwar auch unabhängige Gruppen inszenieren. Aber nur ein-, zweimal pro Jahr. Und sie haben keine Planungssicherheit.

Sind die Staatstheater zu konformistisch? Zu konventionell?

Sie sind schon konventionell, denn sie müssen einem breitem Publikum entgegenkommen. Aber es gibt auch viele interessante Inszenierungen.

Aber welche Stimme fehlt?

Wenn ich ins Theater gehe, habe ich nicht das Gefühl, dass sie über die Welt sprechen, in der ich lebe. Natürlich haben sie alle ein Repertoire aus klassischen und modernen Stücken. Aber sie sind in der Form gehemmt. Ich sehe da einen gewissen Stillstand. Das liegt wohl auch daran, dass oft noch die älteren Regisseure diese Theater dominieren, die in Siebzigern und Achtzigern sehr gutes Theater gemacht haben. Aber ihre Sprache funktioniert nicht mehr. Und es gibt an den Theatern leider nur wenige junge Regisseure, die dort regelmäßig arbeiten können.

Wo sind die?

Viele arbeiten in Tschechien. Die Übrigen werden schlecht bezahlt und können auch nur einmal pro Jahr inszenieren. Eine kontinuierliche Arbeit, bei der sie sich, wie es in Deutschland möglich ist, entwickeln können, gibt es bei uns nur in Einzelfällen. INTERVIEW: PETRA SCHELLEN

„Wiener Schnitzel und ungarisches Gulasch – Neue slowakische Dramatik im Aufbruch“: heute, 20 Uhr, Hamburger Schauspielhaus