: Mama, es ist Krieg!
Unfrieden in der Housing Area: Wie der 73-jährige Ortsvorsteher Fritz Grimminger (SPD) im hessischen Butzbach für eine halbe Stunde in US-amerikanisches Militärgewahrsam geriet
VON DAVID FISCHER-KERLI
Noch hat der zweite Kalte Krieg in Europa nicht angefangen, ein weiterer von Deutschland ausgehender Weltkrieg scheint ebenfalls eher unwahrscheinlich. Die Reduzierung der Anzahl hier stationierter amerikanischer Truppen ist gleichwohl ein längerer Prozess; noch finden sich US-Einrichtungen auch an recht exotischen Orten. Im hessischen Butzbach (ca. 25.000 Einwohner) gibt es keine kasernierten Soldaten mehr, auch ein Wohngebiet für Gießener US-Militärpersonal wird schrittweise geräumt. Mit den Amerikanern ist man im Allgemeinen gut zurechtgekommen. Trotzdem haben die Amerikaner und Butzbach derzeit zwei Probleme: den 11. September 2001 und das hessische Landesfest, den Hessentag, der gerade in Butzbach stattfindet.
Infolge des 11. September wurde ein Zaun um die amerikanische Housing Area gezogen, der den Ortsteil Degerfeld von der Innenstadt abriegelt; den Degerfeldern stehen Korridore offen, bewacht, aber nur mit sporadischen leichten Kontrollen. Obwohl die Army der Stadt im Vorfeld vertraglich zugesichert hatte, für den Beginn des Hessentages die Korridore offen zu halten, wurde der Zaun wenige Tage vorher komplett dichtgemacht; angesichts der bis zu einer Million erwarteten Besucher hatte man wohl doch Bedenken bekommen. Nach Neuverhandlungen einigte man sich auf wenigstens einen kontrollierten Durchgang.
Fritz Grimminger (SPD) ist Ortsvorsteher der Butzbacher Kernstadt, zu der auch Degerfeld gehört. Er empfand die Kontrollen teilweise als schikanös: Selbst von Schulkindern wurden Ausweise verlangt, sagt Grimminger der taz; auch sie wurden nur im Pulk durchgelassen und die etwa 300 Meter durch die Housing Area von einem Wachposten zum anderen von Militärfahrzeugen eskortiert. Ein Kind sei schreiend nach Hause gelaufen: „Mama, es ist Krieg!“. Als Grimminger letzte Woche das Vorgehen des Wachpersonals fotografisch dokumentieren wollte, trat die US-Militärpolizei auf den Plan, vier Fahrzeuge und sechs Militärpolizisten für einen 73-jährigen Mann.
Grimminger weigerte sich, die Kamera auszuhändigen, und wurde mit Kabelbindern gefesselt. Der Vorgang sei recht ruhig abgelaufen, nur als man ihn zur Durchsuchung auf den Kofferraum eines MP-Autos legen wollte, habe er die Füße gegen das Fahrzeug gestemmt, um „zu zeigen, dass man nicht alles mit mir machen kann“. Um Hilfe habe er erst gerufen, als man ihn in das Fahrzeug setzen wollte. Grimminger versuchte immer wieder, den Militärpolizisten begreiflich zu machen, sie hätten kein Recht, so mit ihm umzugehen, die Verständigung gestaltete sich allerdings schwierig: Grimminger spricht schlecht Englisch, die MPs kein Deutsch. Deutsche Polizei befreite ihn nach einer guten halben Stunde und beschlagnahmte den Film. Grimminger blieb eine Schürfwunde am Knie.
Fritz Grimminger ist um Entspannung bemüht. Man habe den Amerikanern viel zu verdanken, sagt er; auch dass sie sich gerade „wie Cowboys“ aufführten, sei nur ihrer verständlichen Angst vor dem Terror geschuldet. Auf keinen Fall will er den Vorfall hochspielen, im Interesse der Stadt und im Interesse der Amerikaner. Ein Fehler sei es allerdings gewesen, deswegen dem Hessischen Rundfunk die Auskunft zu verweigern: Der HR rief stattdessen die Pressesprecherin der US-Garnison Gießen-Friedberg an, die „Lügen“ verbreitete: Grimminger habe gegen den Streifenwagen getreten, ist nun lokalen Medien zu entnehmen; die Presesprecherin ferner: „Militärische Einrichtungen zu fotografieren, ist einfach verboten.“ Grimminger war nicht klar, dass es sich bei dem reinen Wohngebiet um eine „militärische Einrichtung“ handelt, auch „Fotografieren verboten“-Schilder finden sich dort nirgends. Von einem „Platzverweis“ erfuhr Grimminger ebenfalls erst aus der Presse. Er fragt sich, ob er die Housing Area nun umfahren muss, wenn er von der Innenstadt nach Degerfeld will; rechtlich verbindlich hat ihm das niemand mitgeteilt.
SPD-Lokalpolitiker randaliert gegen unsere amerikanischen Freunde? Für manche ein gefundenes Fressen. Grimminger befürchtet nun, von der örtlichen CDU in die antiamerikanische Ecke gedrängt zu werden; dabei geht es ihm in erster Linie um Versöhnung – und darum, zu klären, was den Amerikanern und ihrem Wachpersonal auf deutschem Boden eigentlich überhaupt rechtlich erlaubt ist. „Ausgrenzung“ und „demütigende Behandlung“ will er jedenfalls nach 60 Jahren eines friedlichen Verhältnisses nicht akzeptieren. Ob es weiter gelingen wird, den Ball flach zu halten? Die Bild-Zeitung hat sich schon bei Grimminger gemeldet. Am Freitag fand übrigens auf dem Hessentag eine „Vorführung von Festnahmetechniken der Bundespolizei“ statt. Die hat Grimminger leider verpasst.