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Wenn Freunde Mörder werden

Seit 25 Jahren pflegt Rheinland-Pfalz eine Partnerschaft mit Ruanda. Zum Jubiläum gilt sie als Modell. Doch die dunkle Vergangenheit des Völkermords bleibt ausgespart

Nicht einem Ruander hat Rheinland-Pfalz das Leben gerettet, als damals das Massenmorden einsetzte Heute blüht die Partnerschaft wieder, als sei nie etwas geschehen. Wo bleibt die Aufarbeitung?

Während Bundeskanzlerin Angela Merkel auf dem G-8-Gipfel in Heiligendamm über die Zukunft der Entwicklungszusammenarbeit mit Afrika verhandelte, feierte Rheinland-Pfalz 25 Jahre „Partnerschaft mit Ruanda“. Oppositionsführer Kurt Beck suchte zum Jubiläum am 7. Juni eines der originellsten deutschen Entwicklungsprojekte auf dem Kontinent auf und konnte sich das Selbstlob nicht verkneifen: „Ein Teil dessen, was die Weltgemeinschaft derzeit unter deutscher Präsidentschaft beim G-8-Gipfel erörtert, ist uns gelungen in die Praxis umzusetzen.“

Tatsächlich kann sich die Bilanz der Kooperation zwischen Rheinland-Pfalz und Ruanda sehen lassen: 243 Schulen des Bundeslands, 50 Kommunen, 12 Vereine und Stiftungen und 4 Hochschulen sind eine Kooperation mit Partnern in Ruanda eingegangen, rund 1.400 Einzelprojekte wurden realisiert. In einem Vierteljahrhundert wurden 47 Millionen Euro an Landesmitteln aufgebracht, zusätzlich sammelten rheinländische Bürger 11 Millionen Euro an Spenden. Immer wieder arbeiten deutsche Freiwillige in ruandischen Dörfern, bauen Schulen und Latrinen. Viele, die in solchen Partnerschaften aktiv sind, begreifen die Arbeit mit Ruanda als ihr Lebenswerk und engagieren sich ehrenamtlich weit über das Maß, das man von hoch bezahlten Entwicklungsspezialisten kennt.

Heute, wo man die dezentrale Entwicklungshilfe als Zukunftsmodell preist, wird das Beispiel aus Rheinland-Pfalz als Vorbild gehandelt. Nach dem Tsunami, der zu Weihnachten 2004 ganze Teile Asiens heimsuchte, wurden solche Partnerschaften zwischen deutschen und asiatischen Gemeinden zum Wiederaufbau sogar von der Bundesregierung propagiert. Direkte Kontakte zwischen Menschen oder zwischen Dörfern statt nur zwischen Bürokraten und zwischen Regierungen – das gilt heute als zukunftsweisend.

Man könnte die 25-jährige Partnerschaft zwischen Rheinland-Pfalz und Ruanda für eine ungebrochene Erfolgsstory halten. Aber ziemlich genau in der Mitte dieses Zeitraums ist etwas Einschneidendes passiert. In Ruanda ereignete sich, innerhalb von nur drei Monaten, der Völkermord an bis zu einer Million Menschen. Organisiert wurde er der Regierung von Ruanda, um eine Teilung der Macht mit bewaffneten Rebellen der Tutsi-Minderheit zu verhindern, und ausgeführt von deren bewaffneten Organen. Dieser Massenmord hat Ruanda nachhaltig traumatisiert. Doch in den offiziellen Rückschauen und Bilanzen der Partnerschaft kommt der Genozid nur am Rande vor. Man muss lange suchen, bevor man in den amtlichen Dokumenten einen Hinweis findet. Das Wort „Völkermord“ wird meist vermieden, die Verantwortung des ruandischen Staats ganz verschwiegen.

Logisch: Denn dann müsste sich Rheinland-Pfalz eingestehen, ganz offiziell ein Völkermordregime unterstützt zu haben. Als die Partnerschaft 1982 besiegelt wurde, regierte in Rheinland-Pfalz die CDU. Sie war mit Ruandas damaliger Einheitspartei MRND (Nationale Revolutionäre Bewegung für Entwicklung) verbündet und beriet diese über die Konrad-Adenauer-Stiftung. Die Jugendmiliz der MRND, die „Interahamwe“, gehörte später zu den Hauptakteuren des Genozids – neben Armee und Präsidialgarde sowie der lokalen Verwaltungsstruktur, die Milizen aufstellte, sie bewaffnete und zum Mordeinsatz an Straßensperren schickte.

Gerade die Lokalverwaltung, deren verheerende Rolle bei jedem Verfahren vor dem Ruanda-Tribunal der UNO ausführlich zur Sprache kommt, war der direkte Ansprechpartner für Rheinland-Pfalz. Kann es denn sein, dass keiner, der damals in Ruanda war, etwas mitbekam vom Aufbau der Milizen und von der Aufhetzung der Hutu-Jugend gegen die „Tutsi-Kakerlaken“, die es zu zertreten galt?

Es ist nicht überliefert, dass Rheinland-Pfalz damals auch nur einem Ruander das Leben gerettet hätte, der während des Massenmords Schutz suchte. Das gilt übrigens für Deutschland insgesamt, das in dieser Zeit genau 20 Einreiseanträgen aus Ruanda stattgab, einem Fünftel aller Anträge. Die 400 Deutschen im Land wurden selbstverständlich evakuiert.

Auf lokaler Ebene beruhte diese unheilvolle Kumpanei sicherlich vor allem auf Ignoranz. Doch gerade dies sollte ein Grund sein, hinterher eine ehrliche Aufarbeitung zu leisten. Sie hat nicht stattgefunden. Alles ist auf der Ebene des individuellen Zweifels steckengeblieben: Wie gut kannte ich die Ruander, mit denen ich über Jahre zusammenarbeitete? Wie konnten aus Freunden Mörder werden? Doch aus diesen hundertfachen Fragen wurde kein kollektives Fazit gezogen.

Heute blüht die Partnerschaft wieder, als sei nie etwas gewesen. Ruandas neue Regierung will nach vorn blicken. Sie setzt sich aus der Tutsi-geführten Rebellenbewegung RPF (Ruandische Patriotische Front) zusammen, die im Sommer 1994 das Regime stürzte, das für das dreimonatige Morden verantwortlich war, und will ein „neues Ruanda“ aufbauen, das die Vergangenheit möglichst schnell vergisst, um nicht von ihr eingeholt zu werden. Rheinland-Pfalz fühlt sich dadurch in seiner Haltung bestätigt. In Ruanda wurde die Vergangenheitsbewältigung von der staatlichen auf die gesellschaftliche Ebene delegiert. Die Gefängnisse, einst mit Mördern überfüllt, haben sich zum großen Teil geleert. Die Täter sind zurück in ihre Heimatdörfern, wo sie jetzt neben den traumatisierten Überlebenden der Massaker leben. In tausenden Dorfgerichten, sogenannten Gacaca-Prozessen, werden Täter und Opfer miteinander konfrontiert. Daraus haben sich schon unzählige menschliche Dramen ergeben, die bereits zu hunderten von Morden geführt haben.

Dezentrale „Graswurzelpartnerschaften“, auf denen die Partnerschaften von Rheinland-Pfalz basieren, können in dieser Situation stabilisierend helfen. Warum teilen die Deutschen, die vor 1994 in Ruanda arbeiteten, nicht ihre Erinnerungen mit den Menschen in Ruandern? Hat eine deutsche Gemeinde, die seit 25 Jahren mit einem Dorf in Ruanda zusammenarbeitet, nichts zu erzählen? Kann es sein, dass alte Freunde sich weiterhin gegenseitig decken wollen, statt zur Wahrheitsfindung beizutragen? Einige Jahre lang unterstützte immerhin die Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit (GTZ) die ruandische Generalstaatsanwalt bei der Erstellung einer landesweiten Datei, die all die hunderttausenden von Angeklagten, Anklagen und Aussagen der vielen kleinen Völkermordverfahren sortierte und für Gacaca-Gerichte zugänglich machte. Dieses Projekt ist ausgelaufen, ohne Ersatz. Auf lokaler Ebene gibt es in diesem Bereich keine Zusammenarbeit.

Zum Jubiläum der Partnerschaft schenkte Kurt Beck dem ruandischen Botschafter in Deutschland einen Lastwagen. Doch nur, wenn sie sich auch der Vergangenheit stellt und zur Lösung der wichtigsten Probleme Ruandas beiträgt, hätte diese Partnerschaft bewiesen, dass sie jenseits von Kleinprojekten für ein politisches Konzept steht, das als Vorbild taugt.

DOMINIC JOHNSON

Dominic Johnson arbeitet seit 1990 als Afrika-Redakteur im Auslandsressort der taz. Johnson war schon einige Male öfter in Ruanda als im Bundesland Rheinland-Pfalz, zuletzt im April vergangenen Jahres.

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