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Archiv-Artikel

Ende einer Ordnung

VON NICK REIMER

Strom wird vielerorts ab 1. Juli deutlich teurer. Nach Angaben des Branchenverbands Verivox müssten manche Haushalte bis zu 34 Prozent mehr zahlen. Die Wirtschaftszeitung Euro am Sonntag berichtete, dass bereits 67 Versorgungsunternehmen Tariferhöhungen angekündigt haben.

Jedes halbe Jahr steigen die Strompreise. „Höhere Rohstoffkosten, steigende Kosten durch das Erneuerbare Energien-Gesetz, der Emissionshandel – die Energiekonzerne führen alle möglichen Begründungen für ihre Preisbildung ins Feld“, urteilt Bärbel Höhn, Verbraucherschutz-Politikerin der Bündnisgrünen. Diesmal heißt eine Begründung für die besonders drastisch ausfallende Preisrunde: das Ende der „Bundestarifordnung Elektrizität“. Nach dieser Verordnung mussten die etwa 900 deutschen Stromanbieter ihre Preiskalkulation bislang bei den zuständigen Landesministerien zur Genehmigung einreichen. „Die Kalkulationen waren meist so angelegt, dass die Ministerien ein bisschen kritisierten, die Anbieter ein bisschen nachgaben. Wirklich verändert hat das die Preisbildung nicht“, urteilt Höhn. Ab Juli fällt dieser Genehmigungsschritt weg. „Die Systemumstellung ergab sich aus dem Energiewirtschaftsgesetz“, erklärt eine Sprecherin des Bundeswirtschaftsministeriums.

Die Umstellung des Regelmechanismus soll zu mehr Wettbewerb führen. „Ab Juli werden die Strompreise vom Markt bestimmt“, sagt Gero Lücking, Prokurist des Ökostromanbieters Lichtblick aus Hamburg. Das bedeute, der Kunde werde mehr gefordert. Die Versorger entscheiden selbst, wie viel sie sich ihr Produkt Strom kosten lassen wollen, der Verbraucher bestellt das für ihn Günstigste. Lücking: „Weil die Kontrolle der Länder wegfällt, nutzen viele Anbieter das Datum, um ihre Preise drastisch anzuheben“. Augenscheinlich würden sie damit rechnen, dass die Kunden die Preisanhebung nicht bemerken – oder einfach tolerieren. „Ich kann jedem nur zu einem Preisvergleich raten“, sagt Lücking. Lichtblick jedenfalls, Deutschlands größter Anbieter von 100-prozentigem Ökostrom, wird seine Preise nicht zum 1. Juli ändern. „Wir werden dann vielerorts günstiger klimafreundlichen Strom anbieten als die etablierten Anbieter dreckigen Kohlestrom“, so der Lichtblick-Manager.

Allerdings fällt ab Juli nicht jedwede Preiskontrolle weg. Überprüft werden weiterhin die sogenannten Durchleitungsgebühren. Die Bundesnetzagentur untersucht jenen Anteil an der Strompreiskalkulation, den die Kunden für die Nutzung der Stromnetze zahlen müssen – immerhin 30 bis 40 Prozent des Endpreises. Diese Netze – Hoch- bis Niedrigspannungsleitungen, nebst den dazugehörigen Umspannstationen – sind im Besitz der vier großen Stromkonzerne Eon, RWE, Vattenfall und EnBW. Immer wieder hatte die Netzagentur den Konzernen einen Missbrauch ihrer Monopolstellung nachgewiesen.

Die EU-Kommission hatte jüngst eine Enteignung der vier großen Konzerne gefordert. Fachchinesisch nennt sie das „unbundling“: Die ehemals staatlichen Stromnetze, aufgebaut und finanziert von der Allgemeinheit, sollen demnach nicht mehr im Besitz der Konzerne verbleiben, sondern von unabhängiger Seite – oder dem Staat – betrieben und unterhalten werden. Energiekommissar Piebalgs hatte erklärt, er sei weiter davon überzeugt, dass die beste Lösung für sinkende Preise die rechtliche Abtrennung der Leitungsnetze von den Stromkonzernen wäre. „Das wäre ein echter Fortschritt“, sagt Höhn, „einer, der wenigstens zu fairen Preisen führen würde.“ Die Bundesregierung lehnt dies allerdings bislang ab.