: Geheimkonstrukte zur Steuervermeidung
EU-KOMMISSION Präsident Juncker gerät unter Druck. Als Luxemburger Premier war er für die Finanztricks mitverantwortlich
BRÜSSEL taz | „Wir befinden uns auf vertrautem Terrain, hier geht es um einen ganz gewöhnlichen Fall von staatlicher Beihilfe.“ So versuchte der neue Chefsprecher von Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker, Margaritis Schinas, den Enthüllungen von „Luxemburg Leaks“ die Spitze zu nehmen.
Nicht nur Luxemburg, sondern alle EU-Staaten versuchten, Unternehmen durch Steuernachlässe anzulocken, sagte Schinas in Brüssel. Die neue Wettbewerbskommissarin Margrethe Vestager werde den Vorwürfen nachgehen. „Das ist ein ganz klassischer Fall“, wiederholte der Grieche immer wieder.
Doch die Journalisten im Pressesaal der EU-Kommission wollten Schinas und seinen Chef Juncker nicht so leicht davonkommen lassen: Geht es denn nicht eigentlich um Steuerpolitik, ja um Beihilfe zu Steuerhinterziehung, fragten sie. Was ist, wenn die Ermittlungen ergeben, dass Juncker persönlich verantwortlich war? Hat er überhaupt noch die Autorität, Kürzungen in nationalen Budgets zu fordern, wenn er in Luxemburg ein Steuerparadies errichtet hat?
Alles deutet darauf hin, dass es eben nicht nur um einen „gewöhnlichen“ Beihilfefall geht. Schließlich war der Luxemburger nicht nur jahrzehntelang Premierminister im Großherzogtum, sondern auch noch Finanzminister. Er muss also von den Geheimkonstrukten zur Steuervermeidung gewusst haben. Streng genommen müsste Wettbewerbskommissarin Vestager deshalb auch ihren Chef verhören – ein bisher nie dagewesener Fall.
Alles sehr merkwürdig
Merkwürdig wirkt auch, dass Juncker bei der Entscheidung über den „Beihilfefall“ Luxemburg mitwirken soll. Dabei hatte er selbst noch am Mittwoch gesagt, er wolle sich in die Nachforschungen seiner Kommissarin nicht einmischen.
Die Brüsseler Behörde ermittelt bereits seit 2013 wegen möglicherweise illegaler Steuertricks gegen Irland, die Niederlande und Luxemburg.
Anfang Oktober, noch unter Exkommissionschef José Manuel Barroso, war das Verfahren gegen Luxemburg ausgeweitet worden. Allerdings ging es damals „nur“ um den Internetgiganten Amazon – und nicht um Dutzende oder gar Hunderte Konzerne, die bei den „Luxemburg Leaks“ gefunden wurden.
Die Enthüllungen beruhen auf Unterlagen, die der auf Steuerfragen spezialisierten Beraterfirma PricewaterhouseCoopers (PWC) vor zwei Jahren gestohlen worden waren. Juncker kommt unter Druck – und zwar nicht nur in der Öffentlichkeit, sondern auch im Europaparlament. „Die Steueroase Luxemburg gehört ausgetrocknet, Juncker muss dafür die politische Verantwortung übernehmen“, forderte der Linken-Abgeordnete Fabio De Masi.
In Deutschland zeigte sich Vizekanzler Sigmar Gabriel (SPD) gegenüber der Süddeutschen Zeitung, die die PWC-Dokumente gemeinsam mit einer Gruppe investigativer Journalisten ausgewertet hatte, empört über das Luxemburger Steuerdumping-Geschäftsmodell: „Dieser Spuk muss so schnell wie möglich aufhören.“ ERIC BONSE