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Archiv-Artikel

Das Leben und die Kunst sind eins

STREET ART Seit den achtziger Jahren sind die Arbeiten der Schablonenkünstlerin Miss.Tic auf Pariser Wänden, innerhalb und außerhalb der Galerien präsent. Jetzt sind einige davon im Institut français zu sehen

„Ich unterziehe weibliche Positionen einer Inventur. Welche Haltung wählen wir?“

VON JAN SCHEPER

„Ich habe allem widerstanden, nur manchmal der Liebe nicht und niemals dem Humor,“ sagt Miss.Tic. Der Satz könnte dem Aphorismenschatz des irischen Schriftstellers Oscar Wilde entlehnt sein. Doch die Pariser Künstlerin hat ihren eigenen Kopf. Sie feilscht nicht um Referenzen. Ihre Leinwand ist seit Anfang der achtziger Jahre die Straße. Angetreten ist sie damals mit einem klaren Ziel: „Von Anfang an hatte ich eine Absicht: Aufmerksamkeit zu erregen und anerkannt zu werden. Ich wollte von meiner Arbeit leben können – und mir einen Platz in der Kunstgeschichte erobern.“

In Frankreich ist der 1956 in Paris geborenen Künstlerin der Aufstieg in die Ausstellungsräume renommierter Galerien längst gelungen. Hierzulande galt Miss.Tic lange als Geheimtip. Nun aber widmet ihr das Institut français, in Kooperation mit dem Hotel Concorde, am Kurfürstendamm eine bis Mitte September währende Austellung. „Bomb it Miss.Tic“ ist mit 23 Exponaten ihre erste ausführliche Werkschau in Deutschland.

Ihr schlichter Stil offenbart sich in der kompakten Verflechtung der Komponenten Bild und Text. Mittels Schablone trägt die Künstlerin Farbe meist auf Wände auf. Darauf zu sehen sind zumeist provokant posierende Frauen, aber auch Männer, deren Darstellung jeweils durch ein mehrdeutiges, poetisches Statement ergänzt wird.

Die gesprayten Damen von Miss.Tic spielen mit bekannten Klischees und Rollenbildern. Mal sind sie der Werbung, mal „soziopolitischen Ereignissen“ des städtischen Diskurses entlehnt. Sie werden aber überwiegend von einer selbstbestimmten erotischen Motivik getragen. Der nebenstehende Kommentar passt sich dem nahtlos an, und ist doch stets auch als eigenständiges Wortspiel wahrnehmbar: „Je suis la voyelle du mot voyou“ (Ich bin der Vokal des Wortes Gauner), schreibt Miss.Tic neben eine Grazie, die problemlos der Batman-Saga entsprungen sein könnte. Die Schönheit weiblicher Formen in all ihren Rundungen, Spitzfindigkeiten und Nuancen wird gekonnt ausgereizt, ohne sie – so lautete immer wieder der Vorwurf einzelner Kritiker – platter Pornografie preiszugeben. Anleihen finden sich zuhauf – zwischen Comic und Pop Art bis zu klassischer Kunst unterschiedlicher Provenienz.

Die von der Künstlerin selbst kuratierte Ausstellung ist im ausladenden Schaufenster des Institut français platziert und lässt so unaufgeregt privaten und urbanen Raum verschmelzen. „Es ging uns darum, bereits für den vorübergehenden Passanten die verschiedenen Techniken von Miss.Tic sichtbar zu machen“, sagt die Direktorin Carine Delplanque über die Ausrichtung fast sämtlicher Bilder zur Straße. Neben zwei abfotografierten Fassaden sind es vor allem mit Plakatfetzen verklebte Leinwände, die auf den städtischen Hintergrund der gesprayten Porträts verweisen.

Die Idee zur Ausstellung kam Delplanque auch Dank eines im März veröffentlichten Buches, herausgegeben von der Klangkünstlerin Jorinde Reznikoff und dem Radiojournalisten KP Flügel. Erschienen ist der ebenso anschauliche wie kurzweilige Band im Hamburger Verlag Edition Nautilus in der Reihe „Kleine Bücherei für Hand und Kopf“. Illustriert mit 30 schwarz-weißen Werkaufnahmen gibt das Buch Aufschluss über die unorthodoxe Biographie der heute prominenten Auftrags-Künstlerin und deren ästhetische Maximen: „Ich unterziehe weibliche Positionen einer Art Inventur. Welche Haltung wählen wir, um zu existieren? Weder male noch schreibe ich meinen persönlichen Roman. Mir geht es darum, als Künstlerin und als Frau in der Stadt und der kreativen Welt Stellung zu beziehen. Kreieren heißt Widerstand leisten.“ Den umfangreichen Interviewsequenzen stellen die Herausgeber prominente zeitgenössische Stimmen, darunter Jean Baudrillard und Lydia Lunch, zur Seite.

Die Brüche und Widersprüche, die sich in Miss.Tic und ihrer Kunst vereinen, werden dabei offensichtlich. Deutlich wird insbesondere ihr sprachliches Talent, auf der Fassade wie im Gespräch. „Sie sieht sich ohnehin mehr als Dichterin“, sagt KP Flügel und ergänzt: „Den Drang nach Unabhängigkeit hat sie sich nie nehmen lassen.“ Dementsprechend hat Miss.Tic die Ausstellung in Berlin mit einer Peformance eröffnet. In der Lobby des Institut français klebt nun farbecht ein neues Werk. Neben der üblichen ironisch gebrochenen urbanen Ikone steht der Satz: „L’art et la vie ne font qu’un“ – das Leben und die Kunst sind eins.

■ Jorinde Reznikoff, KP Flügel (Hg.): „Bomb it, Miss.Tic!“, Edition Nautilus, 96 S., 12 Euro. Die gleichnamige Austellung ist bis 16. September im Institut français, Kurfürstendamm 211 zu sehen