: Harry Potter Superstar
WANDLUNG Der Schauspieler Daniel Radcliffe war einmal ein unbeschriebenes Blatt. Jetzt wird er für immer der Zauberer bleiben – und altert im Gleichschritt mit seiner Filmfigur
VON EKKEHARD KNÖRER
Quizfrage: Wie heißt der erste Darsteller Harry Potters im Kino? Antwort: Ganz genau weiß man es nicht. Nachname jedenfalls: Saunders. Als „Saunders Drillinge“ werden die Darsteller Harry Potters als Baby im Abspann geführt. Einer von ihnen wird mit der gezackten Narbe auf der Stirn feurig markiert. Das geschieht vor dem Vorspann von „Harry Potter und der Stein des Weisen“. Der ist außerordentlich kurz, Blitz, Donner, von den Büchern her vertraute Titelschrift: ein Brenneisen-Blitz als Branding-Akt. Aus Buch werde Film.
Und aus Saunders wird Radcliffe wird Harry Potter. Das erste Kinobild, das die Welt von dem Schauspieler Daniel Radcliffe hat, ist entsprechend eine Großaufnahme von seiner Stirn. Die gezackte Narbe darin leuchtet auf. Die Kamera fährt zurück und zeigt ein Kindergesicht. Daniel Radcliffe macht in seiner Kammer das Licht an, setzt die Brille auf und ist fortan gezeichnet: Harry Potter Superstar.
Immer eine schwere Geburt: Ein Held aus der Literatur wird menschlicher Darstellerkörper. Unweigerlich werden Imaginationen durchkreuzt und Bilder, wenn nicht gelöscht, so doch überschrieben, die die Leserinnen und Leser sich vom Helden im stillen Kämmerchen machten. Ein Übertragungsakt, der glückt oder nicht. Im Fall von Daniel Radcliffe ist er nach allgemeiner Ansicht bestens geglückt. Umgekehrt gilt allerdings auch: Sein schwierigster Job – um den sich 400.000 Jugendliche bewarben – ist nicht das Spielen im Film. Er muss es ertragen, der Gegenstand millionenfacher Projektionen zu sein und ist Harry Potter für den Rest seines Lebens.
Wir haben es im Kino bei jeder Figur stets mit zwei Körpern zu tun: dem der Figur und dem ihres Darstellers – jedoch geht es im illusionierenden Spielfilm darum, es immerzu wieder zu vergessen. Wir sollen für die Dauer des Films nur einen Körper sehen, wo immer die beiden anwesend sind. Der Schauspieler hat, wo er Star ist, ein öffentliches Leben, und wer als Produzent/Regisseur schlau ist, weiß: Wer einen Star besetzt, besetzt die privat-öffentliche Persona stets mit.
Radcliffe als Potter ist ein besonderer Fall: Hier brachte der Schauspieler keine andere Rolle mit. Er war ein in jeder Hinsicht unbeschriebenes Blatt. Entsprechend entwickelt er sein Werden vom Kind zum erwachsenen Mann, sein Doppelleben als Schauspieler-Star einerseits und Potter-Darsteller andererseits in konsequenter Koproduktion. In Interviews legt er gezielt Leben und Werk übereinander. Mal für den Boulevard: „Beinahe jede Szene ist an einen wichtigen Moment in meiner Jugend gekoppelt. Wenn ich mir etwa den dritten Teil noch einmal ansehe, werde ich denken: Mensch, als du diese Szene gedreht hast, hattest du gerade deinen ersten Kuss bekommen! Oder jetzt, beim fünften Film … die erste Nassrasur“ (BamS, 2009). Mal aber auch für die Sophistication-Fraktion beim Online-Comedy-Kanal „Funny or Die“: „Nein, nein, ich bin Harry. Eine ganze Zeit lang dachte ich, ich sei Daniel, der einen Zauberer verkörpert. Aber es ist umgekehrt. Ich bin ein Zauberer, der einen Schauspieler spielt.“
Daniel Radcliffe ist nicht zuletzt ein raffiniertes Merchandisingprodukt der Potter-Industrie – und verdient an sämtlichen Merchandisingprodukten des Films anteilig mit. Umgekehrt funktioniert der Aufmerksamkeitstransfer natürlich auch. Als Radcliffe erste Emanzipierungsversuche von Harry Potter unternahm und in einer Londoner Theaterinszenierung die Hauptrolle spielte, sah die Weltöffentlichkeit zu und der Boulevard versprach apokryphe Einblicke ins Zaubererleben: „Harry Potter nackt!“
Harry Potter aber ist nie (wirklich) nackt. Auch zum äußersten, der Nassrasur, kommt es nicht. Ein bisschen Bartschatten allerdings sieht man schon. In Wahrheit gehört der Körper aber ganz der Fiktion. Zwar eilten die realen Darsteller-Körper im Film der Potter-Zeit leicht voraus. Wo Harry im neuen und letzten Teil der Saga, „Harry Potter und die Heiligtümer des Todes, Teil 2“, der Mitte Juli anläuft, siebzehn sein soll, ist Daniel Anfang zwanzig. Mit braver Frisur und Potter-Brille lässt das Kino diese Differenz aber ohne Probleme verschwinden. Muss es auch, schließlich ist das Altern der Figuren in Echtzeit ein wichtiger Clou der Filmserie und funktioniert nur als Realitäts- und nicht als Spezialeffekt.
Dass zwischen Figuren- und Starkörper kein Blatt Papier passen darf, hat seinen einfachen Grund. Die Serie ist im Buch und im Film selbst schon eine Verdopplungs- und Verschiebungsaktion. Die gewöhnliche britische Adoleszenz- und Internatswirklichkeit wird eskapistisch in Richtung Fantastik versetzt. Die Geschichte spielt in einer zweigeteilten Welt, der realistischen Muggel-Welt und der fantastischen Hogwarts-Welt. Diese geteilte Welt muss gegen die Wirklichkeit abgedichtet sein, um die Differenz von Realität und Fantasie in den Filmwelten selbst noch einmal abbilden zu können.
So erleidet Harry durchaus die typische Ohnmacht des Heranwachsenden, der sich einer verständnislosen Erwachsenenwelt ausgesetzt sieht. Mit dem eigentlichen Drama der Adoleszenz, das darin besteht, den eigenen Körper als widerständig, unkontrolliert sprießend, sich deformierend und somit als fremden erleben zu müssen, bekommt er es aber kaum je zu tun. Das wird höchstens auf den Echtkörper und dessen Boulevardinterviewproduktion verschoben. Daniel Radcliffe wiederum trägt – Branding ist Branding – für den Rest seines Lebens eine gezackte Narbe unsichtbar auf der Stirn. Wie er den realen Körper aus dem Klammergriff des fiktiven zu befreien versucht – dazu demnächst mehr in Bild am Sonntag, auf der Bühne und im Film.