: „Kratzen an der Gleichgültigkeit“
Krieg, Aids und Hunger hat Sönke C. Weiss kennengelernt. Zum Afrika-Festival Osnabrück kommt der Autor und Fotograf auch deshalb gerne, weil es zeige, dass der Kontinent mehr ist als die täglichen Katastrophenmeldungen. Ein Gespräch
SÖNKE C. WEISS, * 1967, hat lange in Afrika gelebt und den Kontinent immer wieder bereist. Er ist Medienreferent bei der Hilfsorganisation „World Vision“.
INTERVIEW THORSTEN STEGEMANN
taz: Herr Weiss, Ihr Buch „Das Mädchen und der Krieg. Die Geschichte einer Kindersoldatin“ gilt als eine der schockierendsten Bestandsaufnahmen, die bisher zu diesem Thema veröffentlicht wurden. Warum bestehen Sie auf Details, die selbst spendenfreudige Mitteleuropäer vielleicht gar nicht wissen wollen?
Sönke C. Weiss: Ich wollte das Buch möglichst dokumentarisch gestalten und auf keinen Fall irgendeinen Voyeurismus bedienen. Trotzdem sollte ganz deutlich werden, wie hier Kinder gebrochen und Menschen systematisch zerstört werden. Im Ergebnis mag dem Leser Vieles sehr drastisch vorkommen, aber es ist ganz einfach die Wahrheit.
Das Mädchen Hope, über das Sie schreiben, ist kein Einzelfall. Haben Sie aktuelle Erkenntnisse darüber, wie viele Kinder allein in Norduganda unmittelbar in Kriegshandlungen verwickelt worden sind?
Insgesamt wurden schätzungsweise 25.000 Kinder rekrutiert, das heißt entführt, misshandelt und zum Töten gezwungen. Die neuesten Schätzungen gehen davon aus, dass derzeit noch 3.000 bis 10.000 Kinder im Busch unterwegs sind. Nicht mehr direkt in Uganda, aber im Südsudan und an der Grenze zum Kongo. Dazu kommen Länder, in denen ebenfalls Kindersoldaten eingesetzt werden, wie etwa der Kongo selbst oder Sierra Leone. Nach meinen Informationen hat Joseph Kony, der Anführer der „Lord’s Resistance Army“, der für unzählige Massaker verantwortlich ist, aber schon wieder Abertausende Kinder rekrutiert, um weiterzukämpfen, wenn die Friedensverhandlungen scheitern sollten.
Was für ein Mensch ist Kony?
Ich denke, er ist schizophren und geistesgestört. Kony hält sich tatsächlich für einen Auserwählten, der berufen ist, Uganda nach den zehn Geboten zu regieren. Dabei hat er sich seine Religion nach dem Baukastensystem zusammengesetzt: Altes Testament, Koran, Tora, afrikanische Mythen – er nimmt, was er gerade brauchen kann, um seine Verbrechen zu rechtfertigen.
Es scheint aber auch positive Entwicklungen zu geben – etwa durch Einrichtungen wie das Zentrum für ehemalige Kindersoldaten in Gulu, Norduganda, in dem auch Hope Zuflucht gefunden hat.
Das stimmt. World Vision und andere Hilfswerke haben hier eine unglaubliche Arbeit geleistet, die auch von der EU finanziert wird. Sie zielt nicht nur darauf, die Kinder aus den Armeen herauszuholen, sondern auch auf die Entwicklung einer neuen Perspektive in Form von Schulungen, Berufsausbildungen und so weiter.
Die schnelle Hilfe ist eine Sache, aber haben die Kinder überhaupt eine Chance, ihre traumatischen Erlebnisse dauerhaft zu verarbeiten?
Wer überlebt, hat eine Chance. Aber es gibt natürlich auch Rückschläge. Viele Kinder kehren in den Busch zurück, weil das Leben für sie hier einfacher und überschaubarer ist. Man nimmt ein Gewehr und holt sich, was man braucht. Außerdem gibt es eine sehr hohe Suizidrate, die sich in den letzten Jahren noch gesteigert hat, weil die Menschen nicht mehr an einen Ausweg glauben.
Senait Mehari, Autorin von „Feuerherz“, wurde vorgeworfen, nie Kindersoldatin gewesen zu sein. Haben Sie eine Meinung zu diesem Thema?
Ohne hier ein pauschales Urteil abgeben zu wollen: Mehari hat doch wohl eine Kindheit erlebt, die wir uns alle gar nicht vorstellen können. Ich selbst habe mit so vielen Menschen gesprochen, die mir gleiche oder ähnliche Erlebnisse geschildert haben, dass ich Journalistenkollegen und allen Menschen, die daran Zweifel haben, nur sagen kann: Kommt vorbei, hört zu und seht Euch an, was hier wirklich passiert.
Gerade ist der G-8-Gipfel mit allerlei Absichtserklärungen zu Ende gegangen. Wird Afrika in absehbarer Zeit positive Auswirkungen spüren?
Der G-8-Gipfel ist – wie die UN übrigens auch – doch nur ein Spiegel unserer Gesellschaft. In den satten Ländern herrscht eine unglaubliche Gleichgültigkeit, und solange das Öl fließt, jeder drei Handys und zwei Autos hat, wird sich daran auch nichts ändern. Natürlich hätten die Industrieländer die Macht, Druck auf Leute wie Kony, Mugabe und andere auszuüben, aber das wird wohl ein frommer Wunsch bleiben. Umso wichtiger ist die Arbeit der Hilfswerke vor Ort.
Sie sind Gast beim Afrika-Festival in Osnabrück. Welchen Stellenwert kann solch eine lokale Veranstaltung angesichts letztlich globaler Probleme überhaupt haben?
Einen sehr großen. Denn jedes Mal, wenn das Thema so in die Öffentlichkeit getragen wird, kratzen wir etwas am Panzer der Gleichgültigkeit. Außerdem zeigen solche Festivals, dass Afrika – unser Nachbar – eben nicht nur aus Krieg, Aids und Hunger besteht, sondern ein wundervoller, bunter, lebendiger Kontinent ist. Von diesen Veranstaltungen kann es eigentlich gar nicht genug geben.