: „Die Quote ist unverzichtbar“
Es ist falsch, dass keiner der Vorsitzenden der neuen Linkspartei weiblich ist, sagt die Vizevorsitzende Katja Kipping. Selbst kandidieren will sie vorerst aber trotzdem nicht
KATJA KIPPING, 29, ist seit 1998 Mitglied der PDS. Ein Jahr darauf wurde sie Statdrätin in Dresden und Abgeordnete im Sächsischen Landtag. Mit 25 folgte die Wahl zur jüngsten stellvertretende Parteivorsitzende der Republik, 2006 die in den Bundestag. Neben der Politik tanzt Katja Kipping gerne. Das Bild zeigt sie vor ihrem Berliner Büro im Jakob-Kaiser-Haus nahe des Bundestages.
taz: Frau Kipping, wenn an diesem Wochenende eine vereinigte Linkspartei entsteht, wird auf dem Parteitag eine rein männliche Führungsspitze gewählt. Wie geht es Ihnen als Farbtupfer für eine Riege älterer Herren?
Katja Kipping: Mal ganz abgesehen davon, dass das eine Unterstellung ist, geht es mir gut.
Ist es in Ordnung, dass die Fraktions- und Parteivorsitzenden ausschließlich Männer sind und Frauen nur Stellvertreter werden dürfen?
Dass ich Stellvertreterin bleibe, wenn ich gewählt werde, ist völlig in Ordnung. Wir können froh sein, dass wir Männer wie Oskar Lafontaine, Gregor Gysi und Lothar Bisky haben. Aber dass es in der Spitze keinen Platz für Frauen gibt, ist ein politischer Fehler – dazu kann ich schon aus Parteiräson nicht schweigen. Es entspricht nicht den Grundsätzen der neuen Linken, die für feministische Positionen kämpft.
Warum haben Sie dann nicht selbst für den Vorsitz kandidiert?
Weil es naiv ist, zu glauben, ich könnte mit knapp 30 Jahren eine Partei führen. Auf solchen Posten braucht man eine gewisse Lebenserfahrung. Aber ich bin überzeugt davon, dass es in unserer Partei auch Frauen mit Lebenserfahrung gibt. Darum streben wir an, die derzeitige Situation zu korrigieren. Die Männer könnten allerdings auch sehr an Größe gewinnen, wenn sie dieses Anliegen aktiv mit befördern.
Brauchen Politiker nicht weniger Größe als Macht, wenn sie Dinge verändern wollen?
Das ist keine Macht-, sondern eine Grundsatzfrage. Inzwischen häufen sich in der Partei Anfragen aus den Regionen, die wissen wollen, warum sie sich an die Frauenquote halten sollen, wenn die Spitze das nicht tut. Aber eine linke Partei, die auch für junge moderne Linke eine Adresse sein möchte, kann nicht auf die Quote verzichten.
Um das zu beeinflussen, braucht es Macht. Warum fordern die Frauen in der Linkspartei die nicht konsequenter ein?
Ich kann da nur für mich sprechen: weil es auch andere Dinge gibt, die mir wichtig sind, und weil es für alles ein gewisses Alter gibt.
Das heißt, die Männer können Sie gern mal schimpfen lassen, weil man sie danach problemlos wieder einfangen kann?
Der Vorwurf, mich als das weibliche freche Feigenblatt durchzumogeln, begleitet mich schon von Anfang an. Solch taktisches Verhalten ist mir aber fremd. Gerade weil ich derzeit nicht ganz an die Spitze will, habe ich die Freiheit, Probleme anzusprechen.
Sie denken also nie an Karriere?
Doch. Ich arbeite gerade hart an meiner Karriere als Hobbytänzerin. In ein paar Tagen habe ich meinen ersten Auftritt.
Ihnen ist das Tanzen wichtiger als die Partei?
Wie gesagt, um einen Chefposten kann ich mich auch mit 40 oder 50 bewerben, aber beim Tanzen muss der Durchbruch jetzt kommen. Dafür brauche ich einfach mehr Zeit, als ein noch höheres Amt erlauben würde.
Verraten Sie uns, wo Sie auftreten werden?
Ich werde den Teufel tun und das der Presse sagen. Ich traue mich zwar vor 80.000 Leuten zu reden, aber ich bin schrecklich aufgeregt, wenn ich vor 80 tanzen soll.
Warum machen Sie es dann?
Wegen der Musik und des gemeinsamen sozialen Erlebnisses. Beim Jazzdance tanzt man mit einer ganzen Truppe. Und das sieht nur gut aus, wenn es ein gutes Teamwork gibt.
Wie sehr wird dieses Teamwork in Ihrer Partei noch funktionieren, wenn Oskar Lafontaine die Macht übernimmt?
Bisher klappt das doch ganz gut.
Sehen das die Landesverbände in Sachsen-Anhalt und Berlin genauso, die Lafontaine angeraunzt hat, weil sie nicht seine Positionen vertreten?
Abkanzeln sollte nicht typisch für die neue Linke werden. Die Leistung von Oskar Lafontaine besteht aber darin, dass er eines deutlich gemacht hat: Pluralität darf nicht mit Beliebigkeit verwechselt werden. In der Linkspartei ist, auch aus der historischen Erfahrung der SED, Vielfalt lange so wichtig gewesen, dass es manchmal schwer war, noch die Grundsätze zu entdecken.
Und die Alternative ist ein Basta von Lafontaine?
Nein, die liegt zwischen den Extremen. Wir müssen uns auf einen Konsenskorridor verständigen, der von bestimmten Grundsätzen begrenzt wird. Dazu gehören für mich die Gleichberechtigung von Männern und Frauen, die Ablehnung von Repressionen gegenüber Erwerbslosen und konsequent antimilitaristische Positionen.
Aber es kommt ja nicht nur Lafontaine, sondern auch eine WASG mit einer Staatsfixierung und einem autoritären Parteiregime, das manche an die SED erinnert. Wird die Linke durch die Genossen aus dem Westen wieder ostiger?
Dieses einseitige Bild von der WASG ist falsch. Ich habe das Netzwerk Grundeinkommen mit WASG-Mitgliedern gegründet. Es gibt dort so viel Basisdemokratie, dass es sogar mir als Radikaldemokratin manchmal zu viel wird. Mit Sicherheit werden sich aber viele DDR-sozialisierte PDS-Mitglieder mit den gewerkschaftsnahen WASG-Leuten gut verstehen. Das hat vor allem mit einem ähnlichen Bild von Erwerbsarbeit als Mittelpunkt des Lebens zu tun.
Und was setzen Sie dagegen? Die sogenannte Jugendbrigade, mit der Sie sich aus Dresden bis zur Vizevorsitzenden hochgekämpft haben?
Die Jugendbrigade ist ein klassischer Fall von selbst erfüllender Prophezeiung. Sie hat nie als geschlossene Gruppe existiert. Aber da wir Jüngeren von einigen betagteren Genossen immer in Sippenhaft genommen wurden, haben wir uns dann tatsächlich stärker abgesprochen – schon aus Selbstschutz. Heute sind wir etwas verstreuter, aber wir haben mit der emanzipatorischen Linken eine bundesweite Diskussionsplattform für Themen, die uns wichtig sind, geschaffen. Vor persönlichen Entscheidungen beraten wir uns gegenseitig.
Bei der Frage, wer wen heiratet?
Eher dabei, welche Schwerpunkte man für eine Rede setzen sollte oder welche Kinofilme empfehlenswert sind. Heiraten wäre uns wohl allen zu bürgerlich.
INTERVIEW: DANIEL SCHULZ