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Archiv-Artikel

Paranoia

Zehn Tage nach dem Tod des US-Predigers Jerry Falwell am 17. Mai 2007 trat eine Polin seine Nachfolge im Kampf gegen die „homosexuelle Propaganda“ im Kinderfernsehen an. Die polnische Ombudsfrau Ewa Sowinska entfachte Ende Mai – acht Jahre nach Falwells ersten Angriffen auf die Teletubbies – eine Hysteriedebatte um den Handtäschchen tragenden Teletubbie Tinky-Winky und seine angeblich homoerotischen Züge. Nicht um die intellektuelle Verflachung, so die Idee der beiden Tinky-Winky-Feinde, müsse man sich sorgen, sondern um die sexuelle Identität des Kindes, dessen natürliche Entwicklung durch die lilafarbene, Täschchen schwingende Figur bedroht sei.

Auch wenn der Verdacht einer homosexuellen Neigung Tinky-Winkys nach gründlicher psychologischer Untersuchung wieder verworfen wurde, kommen nun auch andere Comic-Figuren auf den sexuellen Prüfstand. Lange bewegten sich Kinderlieblinge wie Laurel und Hardy, die Schlümpfe, Winnie the Pooh oder auch die sieben Zwerge im kindlichen Stadium der Vorgeschlechtlichkeit – doch plötzlich gelten asexuelle Männlein als bedenklich. In Polen werden derzeit die beiden Trickfilmhelden Lolek & Polek zu ihrem Coming-out gedrängt. Das rein männliche Umfeld, in dem diese Figuren leben, ohne sich daran zu stören, macht sie zu Hauptverdächtigen in der Ermittlung gegen die Verbreitung homosexueller Inhalte. Es scheint, als sei die Versuchung allgegenwärtig. Nicht einmal der pädagogisch wertvolle Rat an Eltern, den Nachwuchs mit Kinderbüchern vom TV-Gerät zu locken, kann hier noch Sicherheit geben, denkt man an Kinderbuchheldinnen wie Hanni und Nanni. Gibt es im Mädcheninternat wirklich nur „Freundschaft?“

In Anbetracht dieser massiven Bedrohung haben Falwell und Sowinska eines übersehen: Die katholische Kirche lehnt die Theorien der Genderforschung und deren These, die sexuelle Identität eines Kindes sei durch äußere Umstände beeinflussbar, strikt ab. Für die katholischen Eltern in Polen und den USA stellt sich deshalb vor allem die brennende Frage: Wo bitte liegt das Problem?

ANNABELLE HIRSCH