HAMBURGER SZENE VON PETRA SCHELLEN: Klingeln verboten

Davon, dass ich rechtmäßigerweise auf dem Radweg fuhr, rede ich gar nicht erst

Nein, ich bin kein Fahrrad-Rowdy. Ich fahre Schritttempo, sobald sich Fußgänger dem Radweg nähern, nehme Rücksicht auf auf Oma und Opa, versuche nett zu sein. Geholfen hat es mir bis jetzt nichts. Mehrfach täglich werde ich von eben diesen Omas angepöbelt: Klingele ich, weil sie auf dem Radweg laufen, habe ich sie ungehörigerweise erschreckt. Rufe ich stattdessen „Kann ich mal bitte vorbei?“, heißt es, ich solle gefälligst klingeln.

Soweit, so bedauerlich. Was ich aber nicht bedacht hatte: Diese Omas haben Enkel, und einige davon sind bei der Polizei. Vorgestern traf ich einen, und das ging so: Abend, es ist dunkel, Ecke Stresemann-/Holstenstraße. Der Bus hält, und die Fahrgäste stolpern auf den direkt davor verlaufenden Radweg. Ich sehe es kommen, fahre Schritttempo – schon, weil ich im Dunklen nicht gut sehe. Hin und wieder klingele ich, warte, bis sich die Passanten verkrümelt haben und fahre dann. Keiner beschwert sich – bis auf einen: der Polizist, der ein paar Meter weiter lauert: „Absteigen!“, sagt er barsch. „Wir müssen ein ernstes Wörtchen sprechen.“ Mein Vergehen? „Sie haben geklingelt!“, sagt der Jungpolizist. Wie bitte? „Sie haben die Fahrgäste brutal weggeklingelt – so laut, dass ich es noch 50 Meter weiter hören konnte.“

Das stimmt nicht. Meine Klingel ist leise, funktioniert bei Nässe manchmal gar nicht, da muss er was verwechselt haben. Egal. „Sie hätten absteigen müssen, bis alle Fahrgäste weg sind“, sagt er. Ich erkläre, dass ich extra langsam gefahren sei, was er sicher gesehen habe. Er hört nicht zu, lauscht stattdessen seinem Walkie-Talkie, wo sein Kollege irgendwas von einer Radfahrerin erzählt. Wie bei „Räuber und Gendarm“. Ich sage noch mal: „Ich habe geduldig gewartet, haben Sie das gesehen?“ Davon, dass ich rechtmäßigerweise auf dem Radweg fuhr, rede ich gar nicht erst. Ich will ja nicht provozieren.

„Sie haben Vorbildfunktion“, sagt der Polizist anstelle einer Antwort. Vorbild, für wen? Die Kinder sind doch längst im Bett. Und was genau sollen sie lernen, auf welches Anti-Klingel-Gesetz beruft er sich? „Sie haben Vorbildfunktion“, wiederholt er. „Erzählen Sie das auch den echten Rowdys?“, frage ich. „Klar“, sagt er, und grinst. Ich steige auf. Hinter mir rast ein stämmiger Rowdy heran, als wollte er mich mit seinem Luftzug auf die Straße drücken. Der Polizist dreht sich schnell weg und murmelt in sein Walkie-Talkie. Er hat Vorbildfunktion.