: Kritiker statt Kumpel
Kurz vor der Tour de France stellt das ZDF die Übertragung wieder in Frage – und damit auch das bisherige Berufsverständnis vieler Sportjournalisten
AUS HAMBURG STEFFEN GRIMBERG
In drei Wochen startet die Tour de France. Weil die Sportgewaltigen der Sender bis dahin mit einer Fülle weiterer Doping-Enthüllungen rechnen und die Effizienz der geplanten Kontrollen weiter unklar bleibt, stellt zumindest das ZDF die Live-Übertragung des Radspektakels wieder in Frage. „Ob wir übertragen und wie wir übertragen – diese Entscheidung ist noch nicht gefallen“, sagte ZDF-Chefredakteur Nikolaus Brender am Samstag bei der Jahreskonferenz des Netzwerk Recherche. Alles komme nun auf den Verlauf der Gespräche mit dem Tourveranstalter und den Radsportverbänden in den nächsten Wochen an.
Auch die ARD denkt immer lauter über Konsequenzen nach. „Die Doppelmoral muss aufhören. Wir haben als Sender, der die TV-Rechte bezahlt, auch einen wirtschaftlichen Hebel“, sagte der ARD-Doping-Experte Hajo Seppelt: „Wenn wir den nutzen, würde ganz schnell etwas anders.“ Denn ein wirklicher Mentalitätswechsel , der „Wind of Change“ bei Fahrern, Betreuern und Team-Führungen sei, so Seppelt, „immer noch nicht da“.
Seppelt kommt eine Schlüsselrolle bei der Tour de France 2007 zu: Der ehemalige Schwimmreporter vom Rundfunk Berlin-Brandenburg, den ARD-Sportkoordinator Hagen Boßdorf 2006 noch vom Beckenrand verbannte, wird jetzt als freier Journalist von der Tour zum Thema Doping berichten. Er darf nun helfen, die durch die zu große Nähe Boßdorfs zum ehemaligen Team Telekom und dem gefallenen Radhelden Jan Ullrich arg angekratzte Glaubwürdigkeit des Senderverbundes wiederherzustellen. Angesichts der ersten tränenreich-verjährten Geständnisse von Radprofis wie Erich Zabel oder Rolf Aldag warnt Seppelt vor zu viel Zutrauen in die Selbstheilungskräfte des Radzirkus: „Wenn wir jetzt sagen, das wird schon wieder, passiert garantiert nichts.“
Doch mit dem Wind of Change tun sich selbst manche in der ARD noch schwer: Erst nach Intervention des ARD-Vorsitzenden stimmte die senderverbundseigene Werbetochter ARD Sales & Services der Auflösung eines Presenter-Vertrags mit Team-Telekom Nachfolger T-Online zu. Und in Hamburg stellte der Sportpublizistikprofessor Josef Hackforth noch eine ganz andere Gretchenfrage: „Ist der Sportjournalismus überhaupt in der Lage, mit dem Thema vernünftig umzugehen?“ Weil der Sportberichterstattung immer stärker die Funktion zu unterhalten auferlegt werde und bei den meisten Sportjournalisten die professionelle Distanz zu den Athleten und ihrem Umfeld völlig auf den Hund gekommen sei, sieht Hackforth bei den meisten Medien keinen Sturm der Veränderung heraufziehen, sondern „eher ein laues Lüftchen“. Denn die Tour wurde nicht nur im Fernsehen abgefeiert, auch die große Mehrheit der Presse habe in all den Jahren lieber Tourhelden überhöht, anstatt bei den Doping-Kontrollen genau hinzugucken.
Wie der neue, kritische TV-Radzirkus ab Juli aussehen wird, bleibt abzuwarten: Es mache ja wenig Sinn, „bei einer packenden Bergetappe mal eben Doping dazwischen zu schalten“, allerdings sollten auch die Live-Kommentator auf Verdachtsfälle hinweisen, sagte Seppelt: „Dass wir dieses Jahr einen Spagat machen müssen“, sei bei ARD wie ZDF „ein offenes Geheimnis“.
Das ZDF will sich nun alle Optionen offen halten und auf Zeit spielen: „In den nächsten Tagen und Wochen wird noch einiges auf den Markt kommen – auch Scheußliches“ sagte ZDF-Chefredakteur Brender. Und öffnete mit seiner nächsten Frage ganz en passant die Büchse der Pandora im Bermudadreieck von Sport, Journalismus und Medien: Wenn man nun bei der Tour harte Konsequenzen ziehe – wie dann umgehen mit Fußball und all den anderen Sportarten?