Neue Führung für Zwergstaat

Die künftige rot-grüne Koalition in Bremen hat sich auf ihre Ziele verständigt. Entscheidende Details etwa zu dem geplanten Kohlekraftwerk oder zur Schulpolitik sollen offen weiterdiskutiert werden. Grüne stimmen Vertiefung der Weser zu

Hannover hat nicht nur mit einer halben Million Einwohner etwa genau so viele wie die Stadt Bremen. In beiden Kommunen bekommt die CDU auch seit Jahrzehnten kein Bein auf den Boden. Seit 1986 arbeiten die Sozen im Stadtrat mit den Grünen locker zusammen, seit 1991 sogar mit einem Koalitionsvertrag. Gleich zwei Mal brach das Bündnis, und beide Male versuchte der kleine Bündnispartner, mit Knatsch im Vorfeld der Kommunalwahlen Eigenständigkeit gegenüber der übermächtigen SPD zu zeigen. Schön inszeniertes Getöse – dennoch sackten die Stadt-Grünen in der Wählergunst 2001 um fast drei auf 11,5 Prozent ab. Vor der Kommunalwahl im vergangenen September hielt das Bündnis: “Man muss nicht jedes Mal auseinander gehen, um seine Kohorten zu sammeln“, sagt der heutige grüne Fraktionschef Lothar Schliekau. Den Bremer Parteifreunden rät er, das in der Koalition erreichte auch nach außen offensiv zu vertreten.  KSC

AUS BREMEN KLAUS WOLSCHNER

128 Seiten ist das Papier dick, das SPD und Grüne in den vergangenen zwei Wochen als Koalitionsvereinbarung ausgehandelt haben. Und dennoch geht die Verabredung bei vielen Fragen nicht ins Detail, sondern legt Ziele fest. Allerdings erklärten sich die Grünen bereit, die Unter- und Außenweser vertiefen zu lassen. Beim Thema Kohlekraftwerk einigten sich die zukünftigen Koalitionäre auf ein „ergebnisoffenes Moderationsverfahren“. Bei der Bildung lautet das gemeinsame „Ziel“ eine Schule für alle bis Klasse 10.

In dem neuen Bremer Senat werden die drei CDU-Senatoren ersetzt durch Linnert und den grünen Umweltexperten Reinhard Loske, der aus dem Bundestag an die Weser wechselt. Er wird auch für das Bauressort und Europaangelegenheiten zuständig sein. Auf der SPD-Seite gibt es ein kleines Stühlerücken: Nur Bürgermeister Jens Böhrnsen und die Sozialsenatorin Ingelore Rosenkötter bleiben in ihren Ämtern. Der frühere Finanzsenator Ulrich Nußbaum (parteilos) wird neuer Wirtschaftssenator, Bildungssenator Willi Lemke wechselt zu „Inneres und Sport“. Als Senatorin für Bildung und Wissenschaft kommt Renate Jürgens-Pieper aus Hannover nach Bremen. Sie war schon im rot-grünen Kabinett Schröder als Kultusministerin für diesen Bereich zuständig und gilt in Hannover als kompetent.

Am meisten haben die Koalitionäre um das Thema Kohlekraftwerk gerungen. „Wir sind inzwischen da alle Experten“, sagte Bürgermeister Jens Böhrnsen. Er und seine Kollegen hätten es sich einfach machen können und sagen: Es liegt kein Bauantrag vor. Wenn er kommt, wird er von der Verwaltung bearbeitet. Aber so leicht hat es sich die Koalition nicht gemacht. Beim Bremer Senat „besteht erhebliche Skepsis“, heißt es in dem Koalitionspapier, ob das von dem lokalen Energieversorger SWB geplante Mega-Kraftwerk mit seinen 4,3 Millionen Tonnen CO2-Ausstoß mit den Klimaschutzzielen der Bundesregierung und der EU „in Einklang zu bringen und alternativlos“ ist. Bis Ende Oktober soll ein „ergebnisoffenes Moderationsverfahren“ unter Hinzuziehung externer Fachleute alle Fragen klären. „Ich hoffe, dass wir uns mit der SWB auf einen anderen Weg einigen“, sagte Karoline Linnert. Die SWB argumentiert damit, dass das Kraftwerk an einem anderen Standort in Norddeutschland gebaut würde, wenn Bremen nicht in Frage käme. Der Stadtstaat würde auf 70 Arbeitsplätze und vier Millionen Euro jährlicher Steuereinnahmen verzichten.

„Wir sind einerseits enttäuscht, dass das Signal nicht eindeutiger positiv ausgefallen ist“, erklärte die SWB-AG zu dem Koalitionskompromiss und räumte ein: „Das Moderationsverfahren stellt die richtigen Fragen.“ Die Kernfrage, die nicht auf Bremer sondern auf nationaler Ebene beantwortet werden müsse, laute: Sind moderne Kohlekraftwerke in Deutschland überhaupt ökologisch und ökonomisch sinnvoll? „Wird sie mit Ja beantwortet, dann ist Bremen mit seinen logistischen und damit auch ökologischen Vorteilen ein Standort, der in Deutschland ganz weit vorne im Rennen liegt, mit seiner positiven Wirkung auf die CO2-Reduktion in Deutschland sowie seinen Vorteilen für den Bremer Arbeitsmarkt und das Steueraufkommen“, findet die SWB.

„Hart“ sei für die Grünen die Zustimmung zur Unterweser-Vertiefung gewesen, räumte Linnert ein. Beim Thema Außenweser erkenne man die Interessen der Hafenwirtschaft an. Die neuen größeren Containerfrachter sollen tideunabhängig und voll beladen die Containerbrücken in Bremerhaven erreichen können. Die ökologischen Folgen seien „vertretbar“, formulierte die bisherige Oppositionsführerin.

In der Bildungspolitik wollen die Grünen „behutsam“ in die von der großen Koalition vorgegebene Richtung weitergehen. „Unser Ziel ist eine gemeinsame Schule bis zur 10. Klasse für alle Kinder des Stadtteils“, heißt es in dem Koalitionspapier. Auf den durchgehenden Gymnasien kommt der Übergang zur Oberstufe allerdings schon nach der 9. Klasse, was die Gesamtschulen bei den Gymnasialschülern unattraktiv macht. Die „Sekundarschule“, in der in Bremen seit zwei Jahren Haupt- und Realschule zusammengefasst sind, ist heute schon fast so unattraktiv wie früher die Hauptschule.

Eine Schulentwicklungskommission soll solche Probleme lösen helfen. Grundsätzlich aber will die Koalition das „Losverfahren überflüssig“ machen, das bisher galt, wenn eine Schule mehr Anwärter hatte als Plätze. Ob der Trend in Richtung Gymnasien gehen wird oder in Richtung Gesamtschulen, würden dann die Schüler und ihre Eltern mit ihrer Schulwahl entscheiden.

Sowohl für die Schulen wie für die Polizei gibt es in den Koalitionsvereinbarungen eine Entwarnung: Ihnen sollen von weitere Personalkürzungen erspart bleiben, selbst wenn die Schülerzahlen sinken. Für die Polizei soll mehr Nachwuchs ausgebildet werden als in den vergangenen Jahren unter dem CDU-Senator Thomas Röwekamp.