: House mit Stabspiel und Stimme
Im Jazz hat die Improvisation zu höchster Form gefunden. Dass dennoch jeder improvisieren kann, will das Exploratorium Berlin seinen Besuchern mit Workshops nahe bringen. Ein Test zeigt: Es funktioniert
Tschum, bing, rassa-dudededu. Ich betrete das Exploratorium, während der Workshop schon in vollem Gange ist. In den Sarottihöfen in Kreuzberg findet man etwas versteckt das 2004 gegründete Zentrum für improvisierte Musik, das in dieser Form einzigartig in Berlin ist. An diesem Abend findet ein Kurs für Anfänger statt. Eine kleine Gruppe von drei Teilnehmern trifft sich zum fünften Mal, um gemeinsam Klänge zu erforschen, Musik entstehen zu lassen.
Die Szenerie im Raum weckt Neugier. Aufgeteilt in sechs Aktionsfelder finden sich fremde und bekannte Perkussionsinstrumente wieder. Auf einer Decke liegen Instrumente aus Metall, daneben vier Trommeln, weiter hinten stehen Stabspiele, und auf dem Flügel liegen verstreut unterschiedliche Holzklangkörper. Der Kursleiter, Matthias Schwabe, erläutert die Spielregeln für das nächste Stück, dann geht es los.
Eine Trommel beginnt mit einem einfachen Rhythmus, nach und nach stimmen sich die anderen Teilnehmer mit ihren Instrumenten ein, und ein vielschichtiger Groove entsteht. Dabei wirken alle sehr konzentriert, aber nicht angespannt. Plötzlich wechselt Regina den Platz, nimmt sich eine Rassel und beginnt mit einer neuen Idee, die anderen folgen ihr nach und nach. Sie bewegen sich frei im Raum, einer tänzelt leicht zu seiner Musik, ein anderer wiegt sich hin und her. An den Stabspielen entsteht eine kleine Melodie, die mich an ein altes Kinderlied erinnert. Eine zweite Stimme dringt langsam an die Oberfläche und lässt einen Film entstehen, wie in einem Traum: Bilder von einem Wald und lauer Sommerluft, Leichtigkeit. Plötzlich eine Melodie ganz allein. Jetzt beginnt das Betriebsgeräusch der Metallinstrumente. Die Rhythmen imitieren die Geräuschkulisse einer großen Fabrikhalle. Hinzu kommt die Stimme jedes Teilnehmers, das Ganze klingt nach House. Manche haben die Augen geschlossen, und ihr Inneres schwingt durch das Trommelgewirr nach außen. Schon sind 15 Minuten vergangen.
Ein dickes Lob folgt vom Lehrer Matthias Schwabe – „Prima! Ich fand es richtig gut. Wie ging es euch?“ Detlef, der eigentlich Programmierer ist und im Exploratorium etwas Freies, über das Strukturelle hinaus, erfahren möchte, gibt ein kurzes Statement zu dem soeben entstandenen Musikstück ab. „Ich habe mich wohlgefühlt. Schön fand ich auch die Möglichkeit, nach Lust und Laune mal etwas länger oder auch kürzer zu spielen.“ Detlef ist kein professioneller Musiker. Seit fünf Jahren trommelt er. Sein Musikgeschmack reicht von Techno bis zur Oper, wie er sagt. Durch den Spaß am Zusammenspiel in seiner Trommelgruppe hat er Lust auf Improvisation bekommen und sich zum Workshop angemeldet. Besonders gefällt ihm, dass über das Musikalische hinaus soziale Aspekte eine wichtige Rolle spielen. „In Kommunikation mit den anderen muss man sich selbst in das Geschehen einbringen und gleichzeitig aufeinander eingehen können.“
Der 45-jährige Martin findet: „Musik und Bewegung gehören einfach zum Leben dazu“. Regina wiederum arbeitet in einer Kita und hat sich früher als Kind nicht getraut, auf der Gitarre Musik ohne Noten zu erfinden, sich das aber immer gewünscht. Heute tut sie es einfach. Für ihre Arbeit mit den Kindern kann sie vieles verwenden. „Kinder lieben es, mit Perkussionsinstrumenten zu improvisieren“, weiß sie aus ihrer Berufspraxis. Im Exploratorium ist jeder gleichermaßen gut aufgehoben, egal ob er Noten lesen kann, ein Instrument spielt oder nicht. Das Hauptaugenmerk von Matthias Schwabe liegt auf der Individualität jedes Einzelnen. „Wir holen den Menschen dort ab, wo er steht, mit seinen Fähigkeiten und Interessen.“
Der studierte Komponist hat als Assistent mit Lilli Friedemann gearbeitet, der Pionierin der Gruppenimprovisation. Mit seinem Engagement will er alle ansprechen, nicht nur einen kleinen ausgewählten Kreis. Das liegt ihm besonders am Herzen. Entsprechend vielfältig ist das Angebot. Neben Wochenendworkshops zum Hineinschnuppern gibt es regelmäßige Kurse für Musik, Theater und Bewegung. Diese richten sich an Anfänger, Fortgeschrittene oder professionelle Künstler. Eine offene Bühne bietet den Teilnehmern regelmäßig die Möglichkeit, das Erarbeitete öffentlich zu präsentieren und sich untereinander auszutauschen. Appetit kann man sich bei ausgewählten Konzerten holen. Demnächst steht ein Doppelkonzert auf dem Programm. Das Duo Reflexions & Ingo Randolf treffen auf Soundog. Beiden Gruppen geht es um die Materialität von Klangereignissen. SABINE ZIMMER
Das Programm findet man unter: www.exploratorium-berlin.de