Mehr Behinderte suchen einen Job

„Es gibt ja noch Gesunde“: Behinderte profitieren nicht von sinkender Arbeitslosenquote. Kritik an Jobcentern

Der wirtschaftliche Aufschwung geht an den Behinderten vorbei. Während berlinweit fast 55.000 weniger Arbeitslose als im Vorjahr gemeldet sind, ist die Zahl der Behinderten auf Jobsuche sogar leicht gestiegen: Im Mai waren knapp 11.500 arbeitslose Menschen mit Behinderung registriert – 730 mehr als im Mai 2006. Das stellt das Landesamt für Gesundheit und Soziales (LAGeSo) auf Grundlage seines aktuellen Jahresbericht fest. „Wir müssen aufpassen, dass die Behinderten nicht zu Verlierern des Aufschwungs werden“, warnte LAGeSo-Präsident, Franz Allert.

„Es gibt ja noch genug Gesunde“, fasst der Geschäftsführer des Berliner Behindertenverbandes, Uwe Hoppe, die Lage seiner Verbandsmitglieder zusammen. Hoppe, der selbst im Rollstuhl sitzt, kritisiert auch die Vermittlungspraxis der Jobcenter: Extraberatungsstellen gebe es nicht mehr und die Mitarbeiter seien wenig geschult für den Umgang mit Behinderten. „Kaum jemand beherrscht die Gebärdensprache oder die Blindenschrift“, sagt Hoppe.

Bei der Landesagentur für Arbeit sieht man keine Versäumnisse: „Das ist eine Zielgruppe, um die wir uns verstärkt kümmern“, sagt Sprecher Olaf Möller. So knüpften sogenannte Service-Teams Kontakte zu Arbeitgebern und versuchten sie zu überzeugen, mehr Behinderte einzustellen. Wie viele solcher Gespräche im letzten Jahr geführt wurden, sei nicht zu ermitteln. „Aber die Erfolgsquote ist ganz gut.“ Kritik über einen gehemmten Umgang mit Behinderten reicht er weiter – an die Arbeitgeber: „Wir müssen uns an das halten, was die Arbeitgeber wollen. Und die suchen nun einmal vor allem jüngere und supermobile Arbeitnehmer.“

Während im öffentlichen Dienst etwa 6 Prozent der Angestellten als behindert gelten, sind es in der Privatwirtschaft noch weniger. Über die genaue Quote bei ihren Mitgliedern liegen der Berliner Industrie- und Handelskammer keine Daten vor. Dabei ist der Anteil von Behinderten unter der Gesamtbevölkerung weitaus höher als in den Unternehmen. Etwa jeder sechste Berliner lebt mit Einschränkungen, jeder Zehnte besitzt einen Schwerbehindertenausweis. Diesen erhalten Personen mit mehr als 50-prozentigen Einschränkungen – etwa nach einem Herzinfarkt oder mit schwerem Diabetes.

Betriebe, die weniger als 5 Prozent Behinderte beschäftigen, müssen bundesweit eine Art Ablass – amtsdeutsch: Ausgleichsabgabe – zahlen. Mit diesem Geld konnten in Berlin im vergangenen Jahr immerhin 100 behindertengerechte Arbeitsplätze gefördert und neu geschaffen werden. ANNA LEHMANN