: Alles ein bisschen rotziger und rockiger
POP Courtney Barnett ist eine der kleinen, aber feinen Überraschungen des Jahres – wie im Magnet Club zu erleben war
Das Karohemden-Kool-Kid aus Melbourne trägt heute ein gepunktetes Dress. Und wüsste man nicht, dass auf der Bühne des Berliner Magnet Clubs Courtney Barnett steht, man könnte das schwarz-weiße Oberteil glatt für eine Bluse halten. Aber nein, es ist definitiv ein Hemd. Weit, etwas ausgewaschen, dazu werden derbe, ausgetretene Docks und ein ausgewachsener Pony getragen.
Barnett ist eine der kleinen, aber feinen Überraschungen des Jahres. Mit lakonischer Stimme, die selten die Tonlage wechselt, singt sie von Panikattacken beim Gärtnern, von nachdenklichen Tauchgängen, von Telefonaten mit besorgten Eltern oder von Abenden, bei denen man neben seinen Schuhen auch das Handy an der Garderobe lässt. Surf-Blues-Rock mit Folkeinstreuern könnte man das Ganze nennen.
Im ausverkauften Magnet hat sich Barnett offenbar entschieden, alles ein bisschen rotziger und rockiger zu spielen. Unterstützt wird sie von zwei langjährigen Freunden, dem langen Lulatsch Bones Sloane am Bass und Dave Mudie an den Drums. Stark an der Lead-Gitarre und manchmal ein bisschen unterfordert: Dan Luscombe. Barnett ist selbst eine solide Gitarristin, scheint sich aber auf das Singen konzentrieren zu wollen. Ihre schöne Fender-Gitarre bearbeitet sie aber so leidenschaftlich, als würde sie die Soli höchstpersönlich shredden.
Barnetts Texte sind von einem speziellen Humor geprägt und erzählen aus dem Leben einer jungen Frau, die in den Tag hineinlebt. Die gern Tomaten und Sonnenblumen pflanzt und ihr Geld in einer Bar verdient. Die montags morgens nicht aufstehen muss und sich über ihre Arty-farty-Freunde von der Kunsthochschule lustig macht, aber auf eine nette Art.
In „Anonymous Club“ singt Barnett von einer romantischen Verabredung mit viel Wein: „Let’s start an anonymous club, we can sit close in the dark. Turn your phone off friend, you’re amongst friends and we don’t need no interruptions. Leave your shoes at the door, along with your troubles.“ „Lance Jr.“ handelt von einer günstigen Schlafmittelalternative: „I masturbated to the songs you wrote. Doesn’t mean I like you man. It just helps me get to sleep. And it’s cheaper than Temazepam“.
Leider sind vor allem Bass und auch das Schlagzeug so aufgedreht, dass man von Barnetts feiner Alltagslyrik viel zu wenig hört. Erst nach sechs oder sieben Stücken spricht Barnett dann das erste Mal mit dem Publikum, davor konzentriert sie sich in bester Shoegazing-Manier auf die Musik und lässt dem begeisterten Publikum kaum Pausen zum Klatschen. „Hey Berlin, who’s from Melbourne here?“ Offenbar der halbe Saal. „They say, Berlin is the second Melbourne.“ Ein bisschen fühlt man sich wie bei einem Wohnzimmerkonzert. Jeder aus der Band scheint ein paar Freunde in der Stadt zu haben.
Barnett ist eine jener Musikerinnen, der man bei einer Plattenfirma vermutlich gesagt hat, sie solle doch bitte ab und zu ein Kleid tragen, das könne nicht schaden. Also gründet Barnett ihr eigenes Label Milk Records, über das sie ihre Musik und die von befreundeten Bands und Künstlern vertreibt. Alles ist sehr familiär, man trägt die Band-T-Shirts seiner Freunde und nach der Bandprobe geht man zusammen longboarden. Courtney Barnett und ihre Band sind, wenn man so will, ein musikalisches Porträt ihrer Heimatstadt Melbourne. Laid back, ein bisschen seltsam und eigensinnig, aber sehr liebenswert.
ANNE-SOPHIE BALZER