: DIE ACHSE DES DUB VON TIM CASPAR BOEHMEOhne Worte
Wer elektronische Musik produziert und sich mit Dub beschäftigt, bekommt gerne einen Zusatz zur Genrekategorie verpasst: Dubstep oder Dubtechno sind die am häufigsten anzutreffenden Etiketten. Der Kanadier Scott Monteith alias Deadbeat hat einiges an Erfahrung auf beiden Gebieten gesammelt. Für sein neues Album mit dem makabren Titel „Drawn and Quartered“ (Gestreckt und Gevierteilt), sein siebtes insgesamt und sein erstes auf dem eigenen Label BLKRTZ, hat sich Monteith auf seine Dub-Reggae-Wurzeln besonnen, um auszuloten, wie Dub heute klingen kann, ohne sich auf ein bestimmtes Clubformat einengen zu lassen.
Statt sich oder seine Hörer zu foltern, streckt er in seinen Stücken einfach nur die Zeit, teilt sie großzügig in ausgedehnte Viervierteltakt-Einheiten, die sich in aller Ruhe vorwärtsbewegen dürfen, mal mit erdbeschwertem Beat, mal in schwebender Luftigkeit, aber immer mit sehr viel Hall. So reduziert hat man Monteith schon lange nicht mehr gehört, und dennoch deckt seine Musik mit Stimmungen von dräuender Düsterkeit bis hin zu aufgeräumter Leichtigkeit ein enormes Spektrum an Emotionen ab. Diese Epen sind Lieder ohne Worte – und fast ohne Melodie.
■ Deadbeat: „Drawn and Quartered“ (BLKRTZ/Kompakt)
Auf der Stelle
Rod Modell gefällt es in Amsterdam. Dort produzierte der US-Amerikaner ein neues Album unter seinem Alias Deepchord, das seine Inspiration recht eindeutig im Titel trägt: „Hash-Bar Loops“ erzählt von einschlägigen Erfahrungen in Coffeeshops, überträgt den Zustand des Bedröhntseins in Schleifen voller Echo, Hall und Rauchschwaden.
Weit davon entfernt, in psychedelische Größenwahnexzesse auszuufern, geht er lieber konzentriert und minimalistisch vor. In seinen Loops scheint die Zeit stillzustehen, zumindest aber auf der Stelle zu treten, unmerklich ändern sich winzige Details, verrutschen nach und nach die Akzente, ohne große Brüche oder Kontraste. Modell variiert die Atmosphäre von Stück zu Stück sehr bewusst. In den knapp 80 Minuten dieses Betriebsausflugs hat man weniger den Eindruck, in einem vernebelten Amsterdamer Etablissement festzusitzen, als durch unbekannte Gebiete nach Einbruch der Dämmerung zu reisen. Bedrohlich wirkt die Musik selten, dennoch weiß man nie so recht, wo man sich da gerade aufhält. Deepchords Version von Dub schafft Freiräume, die man je nach Bedarf mit oder auch ohne Cannabis im Blut betreten kann. Auf jeden Fall lässt es sich bestens darin aushalten.
■ Deepchord: „Hash-Bar Loops“ (Soma/Rough Trade)
Fern der Zeit
Eine Welt aus Hall und Echo: So lässt sich die Musik charakterisieren, die der Schwede Andreas Tilliander auf seinem neuen Album unter dem Pseudonym Mokira präsentiert. Viel mehr scheint auf den ersten Eindruck nicht so ohne Weiteres erkennbar. Zwar gibt es auf „Time Axis Manipulation“ vereinzelt durchgehende Rhythmen, aber Tilliander lässt sie immer wieder zu losen Klangpartikeln zerfallen. Ständig interveniert er in seinen spartanischen Studio-Versuchsanordnungen, bei denen es weniger um das Voranschreiten der Zeit als um ihre simulierte Unterbrechung gehen dürfte.
Schwer zu sagen, in welcher Richtung die Zeitachse hier manipuliert werden soll, ob er sie gar mit dem einen oder anderen Loch versehen will – die verschiedenen Elemente finden mal zusammen, mal scheinen sie komplett eigenen Wegen zu folgen. Diese Musik wirkt in erster Linie wie Fabrikhallen-Ambient voll grauer Farbschattierungen, ferner Maschinengeräusche und ohne die Wärme, wie man sie sonst mit Dub verbindet. Abstraktion bestimmt das Geschehen. Und wenn man meint, der Schall verliere sich ganz und gar im Chaos, taucht plötzlich doch ein unerwarteter Beat auf. Wer sagt denn, Dub müsse sich an klare Vorschriften halten?
■ Mokira: „Time Axis Manipulation“ (Kontra- Musik/Clone)