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Archiv-Artikel

Die Drachenliebhaber

Das kleine Quakenbrück ist mit den „Artland Dragons“ an der Spitze des deutschen Basketballs. Der Hype um den Sport währt dort schon Jahre. Nun ist man selbstbewusst – und hofft auf Touristen

SIEGVERWÖHNT

Beim „Artland“ handelt es sich um den nördlichen Teil des Landkreises Osnabrück. Mit 30 Siegen in 30 Spielen steigen die „Artland Dragons“ in der Saison 2002/2003 dank massiver Unterstützung eines örtlichen Textilfabrikanten in die erste Basketball-Bundesliga auf. Seit 2005 qualifiziert sich die Mannschaft für die Play-offs. Im Mai besteht sie das Viertelfinale gegen den Tabellenersten Alba Berlin ohne Niederlage. Anfang Juni kann sie sich im Halbfinale mit 2:3 gegen RheinEnergie Köln durchsetzen. Am Dienstag verlor die Mannschaft das vierte Finalspiel gegen die Brose Baskets Bamberg.  CJA

AUS QUAKENBRÜCK CHRISTIAN JAKOB

Trotz der knappen 63:64 Final-Niederlage gegen Bamberg (siehe Seite 19): Der sportliche Erfolg der „Artland Dragons“ in den Endrunden der Basketball-Bundesliga sorgt für Erstaunen. Nicht minder bemerkenswert ist die Begeisterung für den Club, die seit Jahren in der Region herrscht.

Weniger als 13.000 Einwohner zählt Quakenbrück, ganz im Westen von Niedersachsen. 2003, zum Erstligaeinzug der „Dragons“ eröffnete die Stadt die Artland-Arena. Am Dienstag verkaufte die „Artland Dragons Sportmarketing GmbH“ zum 70. Mal in Folge alle 3.000 Eintrittskarten. Zum letzten Auswärtsspiel gegen Bamberg fuhren 1.400 QuakenbrückerInnen in 70 Bussen nach Bayern.

Vom Himmel gefallen ist der Zuspruch nicht. Die Bustickets zu den Auswärts-Play-offs waren für nur fünf Euro zu haben – Eintrittskarte inklusive. „Normalerweise hätten es an die 60 Euro sein müssen“ rechnet ein „Dragon“-Fan vor. Der Hauptsponsor des Vereins hat die Differenz beigesteuert.

Uta Geers ist Grundschullehrerin, Mitte 40 und hat seit Jahren nur dann ein Spiel verpasst, wenn sie im Urlaub war. Für Basketball interessiert sie sich erst, seit es die „Dragons“ gibt. „Die Leute sind hier so begeistert, dass einige vor der Geschäfststelle campieren, um ein Ticket abzukriegen.“ Die familiäre Atmosphäre sei das Geheimnis des Basketball-Hypes. „Hier haben die Fans eine sehr enge Beziehung zu den Spielern.“

Die Stadt ist fasziniert von all der Aufmerksamkeit, die ihr gewidmet wird. Als der Spiegel pikiert anmerkt, dass in den örtlichen Cafés „Filterkaffee mit Schlagsahne“ als Cappuccino ausgeschenkt wird, nimmt die Lokalzeitung dies mit Großmut zur Kenntnis: „Wir wollen mit den Kollegen nicht streiten.“ Erfolg macht gelassen.

Nach dem Spiel am Dienstag–abend versammeln sich viele Zuschauer aus der Artland-Arena auf dem Marktplatz. Um elf Uhr soll die Mannschaft dort einen Auftritt haben. Einige hundert Fans sind noch vom Public Viewing dort. Auf einer Bühne vor der Großbildleinwand trommelt eine Samba-Gruppe aus Bremen in grünen Kostümen. Manche grummeln etwas von „Werder“ und „Karneval“.

Der NDR hat zwei Übertragungswagen aufgebaut, um für die Frühnachrichten O-Töne einzusammeln. Der Bürgermeister, ein Berufssoldat, läuft zwischen den Wagen herum. So ganz hat er sich mit der Niederlage nicht abgefunden: “Acht Punkte Unterschied in allen vier Endrundenspielen – das ist Augenhöhe, würde ich sagen.“ 65 Minuten lassen die Spieler die versammelten Fans warten. Trotz Regen und Kälte geht kaum einer.

Friedrich Schlüter ist Inhaber eines Unternehmens für Reha-Technik und Mitglied im Vorstand des Quakenbrücker Wirtschaftsverbandes. „Die Dragons sind ein Virus – und ich bin absolut infiziert“, sagt er und deutet auf die Menge, die sich noch immer geduldig die Samba-Gruppe ansieht: „Davon leben wir hier alle.“ Emotional oder materiell? „Sowohl als auch. Erst kommt das emotionale und dann das materielle.“ Quakenbrück habe mit großen wirtschaftlichen Problemen zu kämpfen. Die Arbeitslosenquote liegt mit 14 Prozent um gut die Hälfte höher als die des umliegenden Landkreises und mehr als doppelt so hoch wie im Bundesdurchschnitt. In den letzten Jahren sind in der Metallindustrie Arbeitsplätze im vierstelligen Bereich verloren gegangen. „Unser Pech ist, dass die Autobahn ein Stückchen zu weit entfernt ist. Deswegen siedeln sich hier kaum neue Industriebetriebe an“, sagt Schlüter. „Die Publicity, die wir nun bekommen, ist das Beste, was uns passieren kann.“ Dem Tourismus werde dies einen kräftigen Schub verpassen.

Zwar hat die Stadt vorsorglich einen roten Meisterschafts-Balkon an der Rathausfassade anbringen lassen, doch die Mannschaft erscheint schließlich auf der Bühne vor der Leinwand. Die Sambagruppe spielt etwas leiser weiter und die Spieler tanzen lieber zu den Trommeln, als noch viel zu sagen. Der Bürgermeister tritt hinzu: „Ihr seid die Meister der Herzen“, lässt er sie wissen. Und: „Wir Quakenbrücker sind alle ein Team.“ Die Sambagruppe drückt ihm eine Rassel in die Hand und er stellt sich hinter die tanzenden Spieler und schüttelt sie fleißig.

Von den Kirchentreppen hat man einen leicht erhöhten Blick auf die Bühne. Ein Mann mittleren Alters erklimmt die Stufen, ein Bierglas in der Hand. Er legt seinen Kopf leicht schräg, um in Richtung Bühne zu deuten. „Grandios, oder?“