uli hannemann, liebling der massen
: Ist Klaus eine Nazifotze?

Auf dem Pissoir im Park steht: „Klaus ist eine Nazifotze“. Das ist nicht schön. Nicht für Klaus und nicht für die Menschheit. Ein bisschen riecht die Sache auch nach Rufmord. Ich kenne Klaus nicht, doch es ist durchaus möglich, dass der Urheber der Inschrift unzureichend recherchiert hat. Man müsste Klaus suchen. Bestimmt befindet er sich noch im Park. Er dürfte oft hier sein – sonst wäre der Zusammenhang nicht gegeben. Man schritte also die Wege ab, blickte mal hinter diesen, mal hinter jenen Baum, wartete womöglich auch an frequentierter Stelle. Spräche vorbeikommende Männer an: „Klaus?“ Am Ende wird sich einer zu erkennen geben.

Hat man ihn also gefunden, müsste man ihn zur Rede stellen: „Klaus – ist es wahr: Ich habe auf dem Parkpissoir gelesen, du seiest eine Nazifotze? Du hast nunmehr die einmalige Gelegenheit, dich zu diesem Sachverhalt zu äußern.“ Dabei würde ich ihm ernst in die Augen blicken, jedoch nicht ohne Wohlwollen, denn jegliche Form von Vorverurteilung liegt mir nicht nur fern, sondern ist obendrein der Angelegenheit kaum dienlich.

Unter Garantie würde sich Klaus überrascht räuspern. Das hätte allerdings wenig zu bedeuten: Wäre er tatsächlich eine Nazifotze, so mimte er natürlich künstliches Erstaunen, um den Verdacht von sich zu lenken. Möglicherweise verriete ihn jedoch ein Flackern der Augen, ein nervöses Zucken um den Mundwinkel, ein vegetativer Ausschlag des Knies. Zermalmte er während des Räusperns in der Faust ein kleines Nagetier oder einen Vogel, trüge er ein T-Shirt mit rechtsradikalen Slogans oder zeichnete er im Verlauf der Gesprächssituation mit der Fußspitze gedankenverloren Hakenkreuze in den geharkten Kies, wären das weitere denkbare Indizien für sein Nazifotzensein. „Klaus“, würde man nunmehr mit mahnendem Tonfall leicht den Druck erhöhen, „Klaus“ – nur eine Augenbraue leicht gehoben, mehr nicht, das genügt: väterlich und streng zugleich, beim Übeltäter ein Urbedürfnis zu wecken, dass er sich erleichtere, um nur die schiere Gewissensqual zu lindern.

Als nächstes kommt es darauf an, was Klaus für ein Typ ist. Wenn er an diesem Punkt zusammenbricht und weinend gesteht, könnte man ihn meinetwegen sogar kurz in den Arm nehmen. Selbstverständlich müsste man ihm ohne Umschweife klar machen, dass es hier leider ohne Polizei beim besten Willen nicht mehr geht. Doch sollte man ihm ruhig auch eine Perspektive aufzeigen: Dass der menschliche Wille in der Lage sei, Berge zu versetzen, dass aus Nazifotzen Hasenmäuschen werden können und bei günstiger Prognose irgendwann die Schmähschrift von den Fliesen getilgt werde.

Es ist allerdings auch denkbar, dass sich Klaus der Überprüfung widersetzt. Er schaltet dann von Anfang an auf stur und bringt gezielt vom Thema ablenkende Fragen aufs Tapet, wie „Spinnen Sie?“ Oder: „Was wollen Sie eigentlich von mir?“ Vielleicht kontert er gar mit dem so unsachlichen wie absurden Anwurf: „Selber Nazifotze!“ Davon möge man sich keinesfalls beirren lassen. Versucht Klaus, sich der für ihn naturgemäß unangenehmen Situation durch Flucht zu entziehen, so sollte man ihn mit allen Mitteln stellen – ich persönlich habe gute Erfahrungen mit einem Teleskopschlagstock gemacht. Antifaschistische Basisarbeit ist nun mal kein Zuckerschlecken.

Am besten für alle Beteiligten wäre freilich ein klares „Nein“ aus Klausens Munde. Ein Irrtum kann schließlich immer mal passieren. In diesem Fall müsste sich einer mal drum kümmern, dass der Spruch beseitigt wird.