: Der Wiederbeschaffer
EIGENTUM Franz Sedelmayer wollte in der Sowjetunion reich werden. Nach dem Zusammenbruch des Staates aber wurde er enteignet. Jetzt will Sedelmayer im Gegenzug das Russische Haus in Berlin pfänden
VON BARBARA KERNECK
Franz Sedelmayer sieht so aus, wie man sich den Endvierziger – seinem weltweiten Presseecho zufolge – vorstellt: gesund und standhaft. Man könnte den bayrischen Familienvater im Kleistjahr mit dem Kleist-Helden Michael Kohlhaas vergleichen. Denn wie diese historische und literarische Figur unternimmt auch er alles Erdenkliche, damit ein ihm zugefügtes Unrecht als solches erkannt wird. Sedelmayer war als Geschäftsmann Ende der achtziger Jahre in die Sowjetunion gegangen und dort reich geworden. Allerdings wurde er, kaum war er reich, auch schon wieder enteignet. Dagegen stemmt er sich. Mit allen Mitteln, die europäische Rechtsstaaten ihm erlauben.
Neben einigen von ihm in Russland gegründeten Firmen verlor Sedelmayer eine schlossartige Villa im Zentrum von Sankt Petersburg, ihm von der dortigen Polizei zur lebenslangen Nutzung abgetreten und von ihm bis unters Dach renoviert. Alles wurde eines Tages im Jahr 1995 von Boris Jelzins Präsidialverwaltung beschlagnahmt – ohne Entschädigung. Den Streitwert beziffert der Kaufmann auf fünf Millionen Euro.
Hier beginnen die Unterschiede zwischen Kohlhaas und Sedelmayer. Jener verlor, Sedelmayer gewann spektakulär schon einige Verfahren gegen Russlands Regierung vor europäischen Gerichten. Ein internationales Stockholmer Schiedsgericht erkannte seine Ansprüche gegen die Russische Föderation im Rahmen des bilateralen deutsch-russischen Investitionsschutzvertrags an. In der Folge war er weltweit der erste Gläubiger, dem es gelang, russisches Staatseigentum pfänden zu lassen, nämlich die Gebäude der Handelsmissionen in Stockholm und Köln. Anfang Juli bestätigte der oberste schwedische Gerichtshof, dass die Pfändung rechtens ist.
Enteignung
Jetzt legt Sedelmayer auch seine Hand an das „Russische Haus“ in der Friedrichstraße – einen 1984 erbauten, gigantischen Klotz, der von dessen Direktor als „sozialistischer Realismus“ bezeichnet wird. Das Haus erfülle die Aufgaben des offiziellen russischen Kulturinstituts, meint er. Sedelmayer will es pfänden und klagt deswegen vor dem Bundesverfassungsgericht. Die Stockholmer Entscheidung gilt für das anstehende Verfahren hierzulande als richtungsweisend.
Doch wie kam Sedelmayer zu der Sankt Petersburger Villa? Die Antwort: Anders als Kohlhaas, einst einfacher Pferdehändler in Brandenburg und Sachsen, verfügt Sedelmayer über eine vielseitige Bildung und operierte von Anfang an global. Er besuchte die Munich International School, diente später bei den Luftlandetruppen der Bundeswehr als Fernmelder und Logistiker, danach ließ er sich in Fahrzeugtechnik und Herstellung ausbilden und studierte in den USA, bevor er in die Sowjetunion zog. Anfang der neunziger Jahre lieferte er nach eigenen Aussagen „sicherheitstechnische Ausrüstungen“ für den ersten stellvertretenden Bürgermeister der Stadt Sankt Petersburg – Wladimir Wladimirowitsch Putin, den heutigen Präsidenten der Russischen Föderation – und für das Polizeidezernat der Stadt, die damals noch Leningrad hieß.
Bis zum Zusammenbruch der Sowjetunion war Sedelmayer von den noch funktionierenden Staatsstrukturen abgesichert, geriet aber danach im Zuge der landesweiten Privatisierung in einen praktisch rechtsfreien Raum. „In den Jahren 1989 bis 95 sind rund 1.200 Joint Ventures in Nordwestrussland kalt übernommen, enteignet oder geschlossen worden, meist durch die russischen Partner, aber auch durch staatliche Willkür“, sagt er. Die westlichen Investoren hätten Gebäude errichtet und Ausrüstungen geliefert und dann hieß es: „Goodbye, geht nach Hause! Ich war ständig mit solchen Situationen konfrontiert.“
Sedelmayer gehörte zu denen, die sich dagegen organisierten und die heutige Saint Petersburg International Business Association (Spiba) mitbegründeten. Von Anfang an hatte er seine Tätigkeit in Russland auf zwei Beine gestellt. Außer der Erstausrüstung von Einsatzmitteln und Sonderfahrzeugen sowie der Fachausbildung von staatlichen Stellen bot er auch westlichen Investoren in Russland Sicherheitsdienstleistungen und Unternehmensberatung an. Dieses zweite Standbein sei korrupten Beamten in der Präsidialverwaltung ein Dorn im Auge gewesen und habe zu seiner Enteignung geführt, meint er.
Rechtsauffassungen
„Mein Pech war“, dass ich mich sehr langfristig in Sankt Petersburg niederlassen wollte und deshalb viel in Infrastruktur investiert hatte“, erzählt Sedelmayer. Deshalb habe er dort gut gelebt, aber unterm Strich kaum Gewinne gemacht – dafür aber sein Glück: Vor zwanzig Jahren heiratete er eine Petersburgerin. Mit ihr hat er zwei Kinder. „Was wir aus Russland mitgenommen haben, ist unser Familiensinn“, sagt er.
Aber warum will er jetzt gerade das „Russische Haus“ in Berlin pfänden? Sedelmayer antwortet: „Die Russische Föderation hat eine Erklärung abgegeben, dass dieses Gebäude ausschließlich für hoheitliche Zwecke genutzt wird.“ Aber jede Berlinerin und jeder Berliner brauche sich nur die Ladengeschäfte in dem Gebäude auf der Friedrichstraße anschauen, um zu sehen, dass dem nicht so ist. „Das Haus wird genutzt für ganz gewöhnliche gewerbliche Zwecke, und solche Vermögensgegenstände sind nach dem internationalen Recht grundsätzlich pfändbar.“ Sedelmayer bezichtigt die Russische Föderation in diesem Zusammenhang sogar der Steuerhinterziehung in Deutschland: Nicht nur aus den teuren Ladengeschäften, auch im Inneren des Gebäudes an der Friedrichstraße erziele Russland gewerbliche Einnahmen durch die Untervermietung von Büros, Geschäften, Kino- und Theatersälen. Sedelmayer meint, man könne beim Finanzamt in Berlin nachfragen „und da werden Sie erfahren, dass die Russische Föderation in Deutschland für gewerbliche Tätigkeit keinen einzigen Euro Steuern erklärt oder bezahlt“. Die Bundesregierung stehe da und schaue diesem Treiben zu. „Wobei jede alte Oma bei uns, die fünf Euro nicht deklariert, vom Finanzamt angezündet wird.“
Im Grunde genommen, so Sedelmayer, sei das Russische Haus eine Chimäre, denn den für die hoheitsrechtliche Tätigkeit eines Kulturinstituts geltenden Regeln folge es nicht. Als juristische Person jedoch, die Geschäfte führen darf, sei es nirgendwo gemeldet: „Es gibt keine juristische Person namens ‚Russisches Haus‘ oder mit ähnlichem Namen. Das werden Sie in keinem russischen und in keinem deutschen Register finden.“ Wenn russische Anwälte dies behaupten, sei es frei erfunden.
Sedelmayers Ansprüche wurden im letzten Herbst vom Berliner Amtsgericht Mitte in erster Instanz anerkannt. Doch sein Vertrauen in die deutsche Rechtsstaatlichkeit ist erschüttert: „Wenn die deutschen Behörden nicht so feige reagieren würden, dann wäre die Beitreibung gar kein Problem. Aber wir sind ja in einem Land, wo es schick ist, dass man die eigenen Bürger kurzhält, wenn es um die Beziehungen zu anderen Staaten geht.“
Sedelmayer spricht aus Erfahrung. Im Jahre 2005 wurden er und vier Gerichtsvollzieher auf der Internationalen Luftfahrtausstellung auf dem Flughafen Schönefeld verhaftet, als sie einen Sputnik und eine Rakete pfänden wollten – beides russische Exponate. „Später hat sich der Polizeipräsident von Frankfurt (Oder) bei mir entschuldigt: es sei alles eine Verwechslung gewesen“, sagt er. Letzlich hätte sich sogar herausgestellt, dass das Vorgehen der Polizei bereits 24 Tage vor der Ausstellung schriftlich niedergelegt worden sei. „Das ist der deutsche Rechtsstaat im Augenblick, wie er in Berlin und Brandenburg abläuft“, empört er sich. „Da kann ich nur sagen: da hört sich’s irgendwo auf.“
Aneignung
Noch vor diesem Ereignis habe ihn Ulrich Benterbusch angerufen, Referatsleiter Außenwirtschaft im Bundeskanzleramt und so genannter Sherpa für alle G-8- und G-20-Gipfel. „Der hat gesagt“, so Sedelmayer, „er möchte mich auffordern, von Vollstreckungsmaßnahmen bei der ILA abzusehen.“ Dies war, kurz bevor der damalige Kanzler Gerhard Schröder seinen Posten bei einem Tochterunternehmen des vom russischen Staat kontrollierten Energiekonzerns Gazprom annahm.
„Da haben Sie mit Machenschaften zu tun, die man so in Deutschland nicht vermuten würde. Aber von so was lass ich mich nicht einschüchtern, so was bin ich gewöhnt“, sagt Sedlmayer. Er lebe jetzt mit seiner Familie in Sicherheit in Frankreich. Zusammen mit anderen Gesellschaftern betreibt er die Firma Marcompany mit Sitz in den USA. Deren Spezialität: Asset Recovery, also Wiederbeschaffung von Eigentum, welches auf risikoreichen Märkten verloren ging, in Ländern ohne effektiv funktionierendes Rechtssystem.