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Archiv-Artikel

Erstmals sitzen

Die Bürgerschaft konstituiert sich und wählt in ziemlicher Gleichmütigkeit ihren Vorstand. Nur einige Spontis aus der CDU-Szene verletzen die Regeln des Parlaments

Von Felix Zimmermann

Konstituierende Parlamentssitzungen tragen es in sich, dass sie bedeutsam sind, dass sie aber zugleich, nun ja, gähnende Langeweile verbreiten, weil es vor allem um Formalia geht. So war es auch gestern in der Bürgerschaft: Kein Tag, der Spannung verspricht, aber wichtig war, weil sich zum ersten Mal die Leute trafen, die in den kommenden vier Jahren Politik für Bremen und Bremerhaven machen sollen.

Man kam zusammen, um einen Vorstand zu wählen, der Alterspräsident, Hartmut Perschau von der CDU, erklärt sehr detailliert, wie die Wahl vonstatten geht, die Abgeordneten verschwinden so oft in den Wahlkabinen, bis das sechsköpfige Präsidium steht. Drei Wahlgänge sind es, dazwischen einige Minuten Pause, in denen ausgezählt wird. Zeit für die Abgeordneten, insbesondere für die rund 30, die noch nie in der Bürgerschaft saßen, entweder die roten Sessel weiter an die eigene Körperform zu gewöhnen und die Haptik des groben Stoffbezuges zu testen oder in der Mittelhalle ein Brötchen mit sehr akkurat verlegten Eierscheiben zu essen. Andere gehen durch die Reihen und wundern sich vielleicht, wie sehr sich zumindest optisch alle Parteien mittlerweile gleichen. Aus dem Rahmen fallen nur noch wenige, der Linke Peter Erlanson mit einem roten Schaltuch,bei den Grünen eigentlich nur noch der langhaarige Klaus Möhle, die zukünftige Finanzsenatorin Karolin Linnert geht vom Habitus her gerade noch als Grüne durch. Weitgehend überwiegt der geschniegelte FDP-Look.

Schon in der Stimmzählpause nach dem zweiten Wahlgang verlassen viele Besucherinnen und Besucher die Zuschauertribüne. Dass darunter ausgerechnet die Landesfinalisten des Wettbewerbs „Jugend debattiert“ waren, die der alte und neue Bürgerschaftspräsident Christian Weber (SPD) eingeladen hatte, mag darauf hindeuten, dass bis dahin wirklich alles sehr langweilig gewesen sei. Aber nein, die Jugendlichen, die sich in der Kunst des Debattierens üben und von ihrem Betreuer als zukünftige Spitzen-Diskutanten vorgestellt wurden, fanden Webers Begrüßungsrede „an den richtigen Stellen zugespitzt“, zugleich locker und wohl auch angemessen an die Verantwortung der Abgeordneten appelierend, ihr Mandat mit großem Ehrgeiz, Engagement und Pflichtbewusstsein gegenüber der Bevölkerung auszuüben. Die Jung-Debattierer schenken Weber noch eine Sitzungsglocke, dann sind sie fort.

Das, was an diesem Tag neben all der Formalitäten als Ausbruch zu werten war, hatten sie ja mitbekommen: Über den Köpfen der Abgeordneten der Links-Partei, die recht unschuldig vor je einer langstieligen Begrüßungs-Rose saßen, entrollten zwei Junge-Unionler ein Bettlaken mit der Aufschrift: „PDS Mauermörder raus“. Alterspräsident Perschau, der zu diesem Zeitpunkt die Sitzung leitete, bat die beiden Protestler, das Transparent wieder einzuholen, mit dem auf spontihafte Art seitens der Jung-CDU noch einmal die Links-Partei als Nachfolge-PDS geschmäht worden war.

Deren Abgeordnete Sirvan Çakici wurde mit der hohen Zahl von 23 Nein-Stimmen als Schriftführerin in den Bürgerschafts-Vorstand gewählt – und verwies auf das Transparent und den Geist, der offensichtlich nicht nur bei der Jungen Union herrsche: „Ich habe mit nichts anderem gerechnet“, sagte sie, und deshalb wirkte sie auch kaum enttäuscht an ihrem ersten Tag als Abgeordnete.