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Archiv-Artikel

Ideen am Katharinenberg

Über ein Geldprojekt in Stralsund

„Da wurde dieses Geld, dieser Zettel, den sie hier gedruckt hatten, zu einem echten moralischen Wert“

VON GABRIELE GOETTLE

In der Altstadt von Stralsund liegt am inneren Ring der Stadtmauer ein denkmalgeschütztes, aber ansonsten unscheinbares rotes Backsteingebäude, der Speicher am Katharinenberg. Das robuste Gebäude gehört der Stadt, war ehemals Getreidespeicher, Dampfmühle, Pferdestall, Ruine, Drogenumschlagplatz und vorübergehend Arbeitsamt. 2002 hat der Förderverein Jugendkunst e. V. (1992 gegründet), durch eine „Kunstbesetzung“ den alten Speicher erobert und ihn zu einer Art Ideenspeicher umgenutzt. Entstanden ist unter seiner Trägerschaft im Laufe der Jahre ein außergewöhnliches soziokulturelles Zentrum, das auch andere Organisationen, Projekte, Künstler und Autoren mitnutzen können. Mit seinen verschiedenen eigenen Projekten bietet der Verein Jugendkunst Kindern und Jugendlichen der Region die Möglichkeit, sich sozial, künstlerisch und handwerklich zu erproben. Eines dieser Projekte ist die „Spielkartenfabrik“ im Erdgeschoss, eine voll funktionsfähige Museumswerkstatt, in der Kinder und Jugendliche mit den historischen Druck- und Setzmaschinen unter fachkundiger Anleitung arbeiten dürfen. Auch Siebdruckanlage, Lithopresse, Buchbinderei und Papierlager usw. stehen zur Verfügung. Sie werden von zwei weiteren Projekten des Vereins, dem Mückenschwein Verlag im Hofgebäude und der Jugendkunstschule, ausgiebig genutzt. Daneben gibt es noch eine Keramikwerkstatt, ein „Studio für junge Musik“ (mit Tonstudio) und ein Zeichenatelier.

Wir sind verabredet mit Fred Lautsch, Koordinator des Ganzen und zuständig für Buch- Verlags-und interdisziplinäre Projekte, und mit Christian Klette, zuständig für Medienprojekte und Konzerte. Er leitete auch das Geldprojekt. Im gepflasterten alten Innenhof mit Blick auf die weiß verputzte und von Kindern bemalte Stadtmauer nehmen wir gemeinsam Platz zum Gespräch.

Christian Klette, seit 2003 beim Förderverein, geb. 1977 in Stralsund. Verh., 2 Kinder. Nach dem Abitur Zivildienst (beim Förderverein) und in Weimar Studium der Mediengestaltung. Vater war Lehrer, verkauft heute Elektroautos, Mutter ist Lehrerin.

Fred Lautsch, seit der Gründung 1992 beim Verein, geboren 1960 in Brandenburg. Verheiratet, 3 Kinder. Nach der Schule Lehre mit Abitur gemacht, durch Armee nach Stralsund gekommen, war Fahrlehrer und hat im Pionierhaus gearbeitet (Keramik- und Kunstkurse veranstaltet). Vater war Schlosser (ist seit 20 Jahren tot), Mutter war Fahrdienstleiterin bei der Reichsbahn.

F: „Was wir wollen, kann ich kurz am Mückenschwein Verlag erklären. Der Mückenschwein Verlag hieß ursprünglich Kinder und Jugend Verlag für Mecklenburg-Vorpommern, und er wurde 1992 gegründet, als in Rostock die Asylbewerberheime brannten und überall in den Medien die Jugendlichen pauschal schlechtgeredet wurden. Wir kannten aus der Arbeit andere Jugendliche und meinten, die müssen unbedingt eine Öffentlichkeit kriegen, damit ein Gegenbild entsteht. Das war das erste Modellprojekt, das wir beim Land eingereicht haben. Und es arbeitet bis heute sehr erfolgreich. Aber der Verlag ist nur eins von unseren Angeboten für Jugendliche. Die Art und Weise, wie wir Jugendarbeit und Kunstarbeit machen, die unterscheidet sich von den üblichen Angeboten – und sie unterscheidet sich von den Vorstellungen des Ministeriums. Wir wollen nicht einfach Freizeitbeschäftigung bieten mit Keramik oder Malen, wir wollen mit den Mitteln, die wir hier haben, gesellschaftliche Themen ergründen und bearbeiten. Jetzt erzähle du, Christian, von unserem Geldprojekt.“

C: „Ja, also, wir haben jedes Jahr ein Motto, zu dem wir ein pädagogisches Angebot entwickeln. 2010 war das Motto ARBEIT – wir haben ja auch eine hohe Jugendarbeitslosigkeit. Wir haben uns theoretisch und praktisch mit dem Arbeitsbegriff auseinandergesetzt, zusammen mit den Schülern, und auch speziell zum 1. Mai einen ‚Tag der Arbeit‘ veranstaltet, der seinen Namen auch verdient.

Und für 2011 haben wir uns dann als Motto GELD überlegt. Wir haben hier einen Mitarbeiter, der sich während des Studiums ausführlich damit beschäftigt hat, und nach einer intensiven Vorbereitung haben wir dann im Frühjahr das erste Projekt zum Thema gemacht. Ein ‚Wirtschaftsfrühstück‘ mit einer 4. Klasse. Am 1. Tag wurde von den Schülern ein Buch gedruckt und gebunden, und dafür bekamen sie eine Art Spielgeld, das wir auch gedruckt hatten. Am 2. Tag war das Ziel, gemeinsam zu frühstücken, wobei sie das am Vortag verdiente Geld einsetzen mussten, um Gewerbe oder Gewerke sozusagen zu kaufen, Teller, Brötchen, Milch, Kakao, bis hin zum Transportunternehmen, das die Projektleiter übernahmen.

Wir haben anfangs Preise vorgegeben, danach haben wir den Schülern freie Hand gelassen bei der Preisgestaltung. Da war der Lehrer immer sehr skeptisch, ob Neunjährige das hinkriegen. Und er war hinterher ziemlich baff, was sich da alles abgespielt hat an Regelbefolgung und Regelverstoß, bis hin zur Wirtschaftskriminalität. Und alles bei voller Konzentration der Schüler, was ja das Hauptproblem für die Lehrer ist.

Die haben einen kleinen Wirtschaftskreislauf hergestellt und durchgespielt, weitgehend in eigener Regie. Wir hatten vorher gemeinsam einen Trickfilm geguckt auf YouTube, der sehr schön die Funktion von Geld erklärt. [„Wie funktioniert Geld?“ von Max von Bock; Anm. G.G.]

Wir haben z. B. auch eine Partnerschaft mit der Burmeister-Schule, einer Regionalschule hier in Stralsund. Wir machen jedes Jahr ein größeres Schulprojekt, und dieses Jahr, zum Thema Geld, waren es 120 Schüler, 7., 8., 9. Klasse. Wir hatten sie in zwei Gruppen geteilt und eine Menge Workshops organisiert. Es waren nur 3 Tage Zeit, um die Schüler mit Funktion, Wert- und Prinzip des Geldes vertraut zu machen. Also von vorn bis hinten, von der Geldschöpfung, über kleine Handwerksbetriebe, die richtige Sachen produzieren, kalkulieren müssen – auch Löhne –, bis hin zu einem Markt, auf dem sie sich gegenseitig ihre Sachen anbieten. Einstieg war wieder der Film.

Als sie gehört haben, worum es geht, haben sie gesagt: ‚Geil, wir drucken Geld!“ Es ist relativ schnell gelungen, sie zu motivieren, da mitzumachen, obwohl wir uns auch mathematisch mit Geld beschäftigt haben.

Wir hatten eine Mathematiklehrerin dabei, die sehr gefetzt hat. Es musste ja genau berechnet werden: Wie viel Geld müssen wir überhaupt produzieren, damit die Geldmenge ausreicht für das Projekt. Die Schüler haben dann auch festgelegt, wie ihre Währung heißt. Die 1. Gruppe nannte sie BUREI, abgeleitet vom Namen ihrer Schule, bei der 2. Gruppe hieß sie einfach nur noch KLOTZ. Da hat man dann Klötze getauscht. Und das habe ich noch nicht erzählt, die Schüler mussten sich verschulden, bevor sie überhaupt loslegen. Wir haben schöne Schuldscheine gedruckt. Man hätte ihnen auch ein Startkapital geben können, aber wir wollten ja die Realität ins Spiel bringen. Wir haben im Vorfeld diskutiert, dass man als Schüler durchaus hätte sagen können, nein, wir wollen uns nicht verschulden. Aber das passierte leider nicht, weil die Schüler es so gewohnt sind, bestimmte Rahmenbedingungen gar nicht erst infrage zu stellen.

Es gab acht verschiedene Workshops in diesem Projekt, wir hatten auch Tanz dabei, also nicht immer nur produzierendes Gewerbe. Ein Workshop war die Bank, das waren acht Kinder und zwei Berater, quasi Bankberater. Und die Bankkinder haben geprüft und gesagt, ja, das könnt ihr machen, haben einen Zinssatz festgelegt. Das waren 10 %, ja, ist viel, aber sie wollten ja auch Geld verdienen, sich einen Lohn auszahlen. Eineinhalb Tage Workshopzeit dienten dann halt dazu, die Produkte zu produzieren oder die Darbietungen einzustudieren. Neben dem Tanz wurden auch z. B. Animationsfilme gemacht zum Thema. Der erste Film zeigte ein Autorennen der Zukunft ohne Erdöl. Die Räder der Vehikel waren Geldstücke, es gab ein Atommobil, ein Solarmobil und ein Gasmobil. Und in der einen Runde, die sie gegeneinander fuhren, ist das Atommobil explodiert. Also sie haben sich was einfallen lassen. Es wurden Bücher produziert, es gab eine Schreibwerkstatt, es gab eine Gruppe, die hat sogar essbares Geld hergestellt.“

F: „Mit Ketchup haben wir siebgedruckt – ja, hochfälschungssichere, essbare Geldscheine.“

C: „Und ein Tresor wurde gebaut, aus Pappe, in dem auch das essbare Geld sicher verwahrt wurde.

Am 3. Tag war Markt, wo sie überlegen mussten, wie kalkuliere ich die Preise, wie präsentiere ich das Produkt, und dann ging es los. Die erste Gruppe war etwas jünger, so 5., 6. Klasse, bei denen lief der Markt so richtig super. Es war ein Riesenchaos, überall Marktstände. Wir hatten um 12 Uhr Eltern und Lehrer dazu eingeladen, und die waren völlig überfordert, weil überall Kinder herumsprangen, mit Geldbündeln in der Hand, und Preisschilder hochhielten. Aber es hat alles funktioniert.“

F: „Es gab eine Auktion, die Maler haben ihre Bilder versteigert. Die Bank bekam Angst, dass nicht genug Geld im Umlauf ist, und hat zinsfrei Geld eingeschossen. Da gingen dann bei der Versteigerung die Preise hoch: 300! 500!, haben sie gerufen.“

C: „Das Ziel war, dass sich alle ihre Produkte gegenseitig verkaufen und damit so viel Geld einnehmen, dass sie quasi ‚entschuldet‘ das Projekt abschließen können. Das hat die erste Gruppe auch geschafft. Demgegenüber waren die Schüler der anderen Gruppe, die nur 2 Jahre älter waren, sehr viel vorsichtiger. Da lief das wesentlich reservierter. Es wurde zwar verkauft, aber manche wollten das Geld nicht wieder ausgeben.“

F: „Ich habe mit einem diskutiert, der hatte soo einen Packen Geld. Ich sagte, he, das funktioniert auf dem Markt nicht, wenn du dein Geld nicht wieder ausgibst. Das Geld verliert doch nachher seinen Wert! Und der sagte nur: Na und? Mir doch egal, ich behalte es lieber! Also es ging ihm mehr darum, diesen ‚Reichtum‘ auszukosten, diese ‚Macht‘ zu haben, den anderen zappeln zu lassen. Da wurde plötzlich dieses Geld, dieser Zettel, den sie hier gedruckt hatten, zu einem echten moralischen Wert, zu einem Druckmittel. Also das war auch lehrreich. Wir wollen es nächstes Jahr wiederholen und erweitern, denn die ‚Entschuldung‘ ist so ein Knackpunkt, die Schüler sollen, wenn sie es nicht schaffen, einen Tag hier arbeiten, damit sie das ernst nehmen.“

C: „Ja, es geht uns um diese Ernsthaftigkeit, die da drinsteckt. Sicher, es ist Simulation und Spiel, aber alle sollen ihre Rolle so glaubwürdig wie möglich spielen. Wir haben schon viel erreicht, wenn die Schüler einige Widersprüche sehen, die Geld, Kredit und Zins mit sich bringen. Sie kommen gern hierher, nicht weil sie hier gut abhängen können, sondern weil sie – obwohl es Stress gibt – am Ende was Ungewöhnliches gemacht und erreicht haben. Sie selber.“

F: „Wir wollen sie auf Gedanken bringen, legen ihnen Probleme vor, und den Weg sollen sie selber suchen und finden. Wenn sie Hilfe brauchen, wir sind da. Und wir können auch hart sein. Ich hatte mal 8 Schüler. Einer saß immer abseits, ein ziemlich großer Junge, Sitzenbleiber. Er wollte nicht mitmachen, sagte, er ist zuckerkrank. Ich sage, das ist nicht schlimm, das überlebt man heute, schau mal, da die Gruppe, die sind alle kleiner als du, die brauchen einen großen Jungen der ihnen hilft, sie schaffen es sonst nicht. Dann hat er sich hingestellt und erst widerwillig und dann bei bester Laune den ganzen Tag gedruckt. Die Lehrerin fragte: Was habt ihr denn mit dem gemacht? Ich habe den noch nie lachen sehen.“

C: „Manche sagen erst mal nur, alles Pisse, alles Scheiße, keinen Bock. Wir wissen, dass das eine Show ist, und wenn wir es richtig machen, arbeiten sie plötzlich mit und haben sogar Einfälle. Also es findet sich eigentlich für jedes Problem irgendeine Lösung.“

F (ignoriert sein Handy und sagt): „Vom 1. Mai müssen wir noch erzählen, da ging es natürlich auch um Geld. Uns stört, dass zum 1. Mai die obligaten Maikundgebungen auf dem Markt stattfinden, alle ihre schönen Reden halten und danach auseinandergehen. Es ist eigentlich im Prinzip wie immer. Es gibt nicht wirklich irgendwo einen Versuch, den Bürger wachzurütteln. Vor zwei Jahren, als wir das Thema Arbeit hier hatten, sind wir mit Wollsocken über dem Kopf – da waren überall Zahnräder befestigt – zur Kundgebung gegangen, und wir haben eine lebende Maschine gebaut. Schwarz vermummt. So was verursacht schon Panik bei den Leuten, die auf einer friedlichen Maidemo sind.“

C: „Voriges Jahr hatten wir unser gesamtes Projekt am 1. Mai gemacht, dieses Jahr haben wir es auf 2 Tage verteilt. Es gab quasi eine Kooperation mit der Fachhochschule in Stralsund, und es kamen auch Wirtschaftsstudenten zu uns. Wir hatten für den Tag davor, den 30. April, einen Fachmann eingeladen. Einen emeritierten Professor für Volkswirtschaft aus Berlin, Bernd Senf. Er hat einen Vortrag gehalten über die ‚Tieferen Ursachen der Schuldenkrise‘. Es ging um die Problematik des Zinssystems und um Alternativen. Er hat u. a. einen Begriff erklärt, den er eingeführt hat, die ‚Monenative‘. Neben Legislative, Exekutive und Judikative soll, so sein Vorschlag, quasi die Einführung einer 4. Staatsgewalt eine Reform des Geldsystems ermöglichen. Geldschöpfung soll nur noch den Staatsbanken vorbehalten sein.“

F: „Er kann komplizierte Zusammenhänge sehr gut und allgemeinverständlich erklären. Ein Supervortrag war das! Er war gut besucht und ging fast 4 Stunden, mit Pause. Die Leute sind geblieben bis zum Schluss, sogar Marlene, die ist 75!“

C: „Ich habe einige seiner Thesen mitgeschrieben, z. B. hat er vorgerechnet, was beim Geld immer ‚vergessen‘ wird, die menschlichen Ressourcen, die quasi abgebaut werden, und die natürlichen Ressourcen. Sie werden nie mit reingerechnet. Die Thesen haben wir dann am nächsten Tag mit dem Beamer als Ticker an die Wand geworfen, für die Leute, die am Vorabend keine Zeit hatten. So konnten wir wenigstens etwas rüberretten für die Diskussion am 1. Mai.“

F: „Und dann haben wir ja eine schöne Aktion gemacht. Am 1. Mai Anlaufen der Druckmaschinen, Geldscheine drucken und los, um sie in Umlauf zu bringen. Wir hatten vor, zur Maidemo zu gehen und unsere Bank zu eröffnen. Wir wollten klarmachen, dass Kultur und Jugendarbeit nicht finanziert werden, weil die Republik pleite ist. Und mit dieser unserer Bank wollten wir uns unter den Schutz des Bankenrettungsschirms begeben. Wir sind nach Greifswald gefahren zur großen Maikundgebung. Es waren sehr viele Sicherheitskräfte da, weil die Nazikundgebung parallel war. Man kam kaum durch. Wir haben unsere Bank eröffnet, ambulant, und die Leute gebeten, unsere Geldscheine zu kaufen. Und damit sie sehen, dass wir seriös sind, hatten unsere drei Banker solche Bauchläden um, die voll waren mit Goldbarren. Das war sozusagen die Beglaubigung für unser Geld. Unser Geld hieß ‚Schutzgeld‘ denn es sollte Kulturgut schützen.

Unser Schein ist sogar fälschungssicher, auf handgeschöpftem Papier, in 5 verschiedenen Druckverfahren gemacht, er ist geprägt und hat eine Silberprägung. Unser Geld hat alles, was der Euro nicht mehr hat, denn unser Schein ist ein richtiger Wertschein, ein Warengutschein, den man allerdings nicht zurücktauschen kann. Aber wir, der Verein, garantieren dem Besitzer, dass er 1 Jahr lang, bis zum Verfallsdatum am 1. Mai des nächsten Jahres, damit hier sein Mittagessen z. B. bezahlen oder Bücher usw. in unserem Laden erwerben kann. Unser Geld wird 1:1 verkauft. 10 ‚Fische‘ gleich 10 Euro. Fische deshalb, weil sie schnell schlecht werden und stinken.“

C: „Hat niemand gekauft.“

F: „Doch, doch!! Wir haben in Greifswald Geldscheine verkauft! Und manche Leute sind anschließend hier ins Haus gekommen, wo auch eine richtige Bank eingerichtet war, mit Bankerin und Kassenmaschine. Die Kunsthandwerker haben ihre Produkte angeboten, und wenn man was kaufen wollte, einen Kaffee oder Wein trinken, dann ging das nur mit der offiziellen Währung, dem Fisch. Und tatsächlich, die Leute hatten Vertrauen in unsere Währung.“

C: „Das ist so ein wenig das Spektrum dessen, was wir hier machen. Und wir sind sehr daran interessiert, dass es nicht stagniert, deshalb lassen wir uns immer wieder was Neues einfallen. Und wir müssen auch ökonomisch vorgehen. Wir haben quasi verschiedene Standbeine, eines davon ist z. B. der Verkauf von Produkten, ein anderes sind unsere Projektangebote. Die Projekttage für Lehrer und Schüler kosten 5 Euro pro Tag und Person, inkl. Material. Jeder kann sein Exponat am Ende mitnehmen. Für Kinder aus Hartz-IV-Familien gibt es Zuschüsse.“

F: „Sie müssen auch uns zahlen, unsere Arbeit und ebenso unsere Werkstatt, die sie benutzen. Im Jahr davor war es so, dass die Schüler nicht genug Geld hatten, um das Arbeitsprojekt zu bezahlen. Da haben wir denen angeboten, dass sie für uns arbeiten können, Notizbücher binden. Und die verkaufen wir dann zur Refinanzierung. Spannend war, dass die betreuende Lehrerin erst ein Jahr später verstanden hat, dass wir die Notizbücher wirklich verkaufen mussten, um die fehlenden Euro reinzukriegen.“

C: „Es ist wichtig für uns, klarzumachen, dass wir das nicht billiger anbieten können, denn dann bleiben wir auf den Fehlfinanzierungen sitzen. Wir müssen ja ein Drittel Eigenanteil erwirtschaften.“

F: „Mit Lehrern haben wir manchmal Probleme; viele bewegen sich nicht, weil sie keine Konkurrenz zu fürchten haben, weil man ja eine Schulpflicht hat. Wir hatten bei der Präsentation des Schülerprojekts vorgesehen, dass auch die Lehrer Geld tauschen mussten, um Eintritt zu zahlen. Da ist mal eine Lehrerin wutentbrannt vor den Schülern die Treppe wieder runter – sie meinte, das wäre ihre Arbeitszeit, dafür gibt sie kein Geld aus! Für die Schüler war das natürlich nicht schön, so krass gezeigt zu kriegen, dass sie der Lehrerin scheißegal sind. Null Interesse! Dieselben Lehrer wundern sich dann, wenn sie keinen Zugang mehr zu ihren Schülern haben. Ich will hier jetzt keine generelle Lehrerschelte machen, aber die guten sind in der Minderheit und sind an ihren Schulen auch sehr vereinzelt.“

C: „Entsprechend schwer ist es manchmal, den Schülern erst mal quasi klarzumachen, dass hier etwas anderes gemacht wird.“

F: „Die Schüler kommen und sind schon geprägt. Wir haben mal 24 Kinder gefragt, wie sie sich ihr Leben vorstellen. 20 wollten Millionär werden, oder jetzt im Moment ist es vielleicht die Markenjeans, die zählt – wir haben mal ein Projekt gemacht zum Thema ‚Marke‘. Jedenfalls wollen fast alle reich werden. Wir leben in einer Diktatur des Geldes. Sie wissen genau, dass Geld der größte Wert ist in dieser Gesellschaft. Und an diesem Punkt versuchen wir, den Jugendlichen weiterzuentwickeln. Man kann sagen, wenn er mal halbwegs begriffen hat, wie Geld nicht funktioniert und wie es wirklich funktioniert, ohne Wattebausch, dann ist er vorwärtsgekommen. Man kann das nicht moralisch machen, in der Art: Habt ihr schon mal überlegt, was das für eine Scheiße ist?! Der weiß gar nicht, wovon ich rede. Was wir versuchen, ist ‚Konfrontationspädagogik‘, so haben wir es mal genannt. Wir haben nicht viel Zeit, also müssen wir die Dinge auf die Spitze treiben.

Und wir sind ja übrigens nicht die Einzigen, die den Schülern zum Thema Geld was bieten. Wir haben mächtige Konkurrenz. Jedes Jahr im Spätherbst gehen die Sparkassen, mit ihrem ‚PLANSPIEL BÖRSE – DIE BESTE ANLAGE FÜRS LEBEN‘ an die Schulen. Unter der Schirmherrschaft der Bundesbildungsministerin Schavan sollen die Schüler als werdende Spekulanten ein vorgegebenes Kapital erfolgreich vermehren. Da wird sozusagen dieser Kapitalismus gelehrt, aber mit Wattebausch! Dass mein Aktiengewinn jetzt gerade irgendwo 30 Leute hat verhungern lassen, das lernen sie nicht, das gehört nicht zum Spiel. Schülern, die die besten Aktiengewinne erzielt haben, bekommen Reisen und Auszeichnungen.“

C: „Da können wir natürlich nicht mithalten. Aber von einem anderen Projekt möchte ich noch kurz erzählen. Wir hatten im letzten Jahr hier Jugendliche, die hatte die Agentur für Arbeit in so eine ‚Arbeitsmaßnahme‘ gesteckt. Denen war irgendwie das Haus angezündet worden, und da hat man gefragt, ob wir uns vorübergehend um die kümmern könnten. Ich habe mit denen ein Buchprojekt gemacht, und das war quasi ein 1-Euro-Job für die. Sie waren vollkommen lustlos. Null Bock, sozusagen.“

F: „Was wir allerdings verstehen, erst mal. Ihre Erfahrung war die, für 1 Euro endlos einen Job zu machen, in dem man keinen Sinn sieht. Wir mussten ihnen nun vermitteln, was sie hier neben dem einen Euro noch alles kriegen können.

Wir haben ihnen angeboten, dass sie lernen, wie die Maschinen funktionieren, dass sie ein Spiel entwickeln können, dass sie selbst entscheiden, was sie machen wollen.“

C: „Einer saß da und hatte beschlossen, er macht gar nichts. Fred ist dann maßlos wütend geworden, und das hat letzten Endes bewirkt, dass der Jugendliche nach dieser Maßnahme sogar bei uns gearbeitet hat.“ F: „Man muss klare Worte finden, auch mal laut werden. Überall werden sie ja eingeschläfert und zugelullt, mit Fernsehen, Videospielen, Internet und ‚sozialen Netzwerken‘. Aber immer alles schön von zu Hause aus. Ich glaube, es ist gesellschaftliches Ziel, alle von allen zu trennen. So verlernen sie es, sich mit der Wirklichkeit auseinanderzusetzen. Es hat einen ganzen Monat gedauert, bis sie uns verstanden haben. Das Spiel, das sie dann entwickelt haben heißt HARTZER PETER, und es ist ein echtes Gesellschaftsspiel. Eine Art Monopoly für Hartz-IV-Empfänger, oder für Leute, die mal üben wollen.

Das Spiel besteht darin, mit 365 Euro Regelsatz über die Runden bzw. einmal um den Monat zu kommen. Wir hatten bemerkt, dass sie sich gegenseitig beraten und hohe Experten auf diesem Gebiet sind. Sie blicken total durch, und wir haben sie dazu gebracht, dieses Fachwissen kreativ zu benutzen. Daraus hat sich dann das Spiel entwickelt.“

C: „Es gibt in dem Spiel 14 oder 16 ‚Ereigniskarten‘, wobei vom 1. Antrag auf Hartz IV bis zur Bewilligung alle Zwischenstufen berücksichtigt und eingebaut sind ins Spiel. Das Geld heißt ‚Hartzer‘. Alles ist selbst gemacht, der Karton ist sorgfältig handkaschiert. Es ist ein sehr schönes Spiel.“

F: „Ja! Ich habe denen gesagt, ihr habt da ein Superspiel entwickelt, es hat Intelligenz und kritischen Witz, sieht gut aus. Schützt euch das, verdient damit Geld, damit ihr diesem blödsinnigen Abhängigkeitsverhältnis und dem Arbeitsamt entkommt.

Wir haben diesem Amt übrigens mitgeteilt, dass wir keine Hartz-IV-Jugend aufnehmen. Wir arbeiten gern mit solchen Jugendlichen, aber nicht über dieses Amt. Wir lassen uns auch nicht von dieser Behörde bezahlen. Da gibt es so viel Betrug, mit Hartz IV und mit den Bildungsträgern, darauf verzichten wir total. Wir sagen, das ist ein VERBRECHERAMT! Wir wollen mit diesen Verbrechen nichts zu tun haben.“ Wir fragen, was denn aus dem Spiel geworden ist.

F: „Nichts. Wir verkaufen es nicht. Wir möchten uns ihr geistiges Eigentum nicht aneignen. Wir wollen, dass sie selber das verkaufen.

Das machen sie aber nicht. Sie sagen, dann müssen sie den Erlös ja doch nur wieder ans Amt abgeben und kommen nie raus. Oder sie müssten sagen, gut, dann lebe ich freischaffend, aber woher sollen sie das können?“

C (murmelnd): „Es wäre gut, wenn sie es produzieren würden.“