: Das Muster suchen
Ortstermin München: Homi K. Bhaba, Star der Post-Colonial-Studies, über die dunkle Seite der Aufklärung
Homi K. Bhaba ist eine Ikone der Literaturtheorie – das weiß man auch in München. Der Hörsaal der Ludwig-Maximilians-Universität war hoffnungslos überfüllt, als er in der vergangenen Woche über „Globalization and Ambivalence“ sprach, und noch bevor Bhaba überhaupt selbst etwas sagen konnte, kam es zu spontanen Beifallsbekundungen. Geboren 1949 in Bombay, durchlief Bhaba zunächst die renommiertesten Bildungseinrichtungen Indiens, bevor er sein Studium am Christ Church College in Oxford fortsetzte, wo er seine Theorie zur Hybridität der postkolonialen Situation zu entwickeln begann. In den späten 90er-Jahren wechselte er in die USA und steht dort inzwischen der geisteswissenschaftlichen Fakultät der Harvard University vor.
Bhaba ist ein guter Redner. Er redet nicht nur über Literatur, sondern auch über Darfur, Ruanda, 09/11, die Taliban, den Irakkrieg, den Holocaust. Vor allem aber redet er über all diese Themen anders, als man es von der täglichen Zeitungslektüre gewohnt ist, indem er die Absolutheit der Gegenwart und die sie (angeblich) dominierenden Binarismen grundlegend hinterfragt. Wenn Theorien also dazu da sind, unsere alltägliche Wahrnehmung der Welt zu kritisieren, dann ist Bhaba ein Theoretiker im besten Sinne.
In seinem Münchener Vortrag macht sich Bhaba daran, die derzeit geltende Opposition zwischen Säkularismus und Fundamentalismus, zwischen Zivilisation und Barbarei, zu dekonstruieren. Ausgehend von einem Gedicht T.S. Eliots, diagnostiziert Bhaba bei diesem glühenden Verfechter zivilisatorischer Ideale hegemoniale und imperiale Tendenzen, von denen er annimmt, dass sie die verborgene Triebfeder für Eliots Internationalismus sind. Das, wovon wir meinen, dass es uns am fernsten liege, kommt also tatsächlich aus uns selbst. Fundamentalismus und Obskurantismus mögen als überkommen und verfehlt gelten – und doch sind sie nur ein anderer Aspekt der Moderne, die dunkle Seite der Aufklärung, untrennbar mit ihr verbunden. In einer gänzlich globalisierten Welt, wie Eliot sie anstrebt und wie wir sie heute erleben, gibt es kein zivilisiertes Zentrum mehr, dem eine barbarische Peripherie gegenüberstünde, stattdessen kommt das Barbarische von ganz innen.
Parallel dazu ist es in einer globalisierten Welt auch nicht mehr möglich, Anfang, Ende oder auch nur eine kausale Entwicklung zu postulieren. Nur deshalb konnte Bush wiedergewählt werden, obwohl er zugeben musste, dass ein Ende des Irakkriegs nicht absehbar war, und obwohl er nicht erklären konnte, wo denn nun Saddam Husseins Massenvernichtungswaffen abgeblieben waren. In einer Welt, in der Grenzen bewusst aufgelöst werden, können Anfänge und Gründe, so Bhaba, immer nur erzählt und behauptet werden.
Nun fragt man sich als Zuhörerin natürlich, wie man sich angesichts dieser Problematik überhaupt noch verantwortungsvoll verhalten kann. Bhabas Vorschlag zu einer globalen Ethik ist dürftig und läuft im Prinzip auf eine erneute Bewusstmachung des Dilemmas hinaus: Er postuliert ein Leben und Handeln im Bewusstsein dessen, was war und was hätte sein können oder sollen, während unsere Zukunft allerdings immer schon dabei ist, auch zur Vergangenheit zu werden. Erinnern, was war, und bedenken, was kommt, also. Bhaba fordert dazu auf, kulturelles Gedächtnis als das Oszillieren des Geistes zwischen historischen Tatsachen und obskuren, häufig nicht artikulierten Wünschen und Vorstellungen, also als einen kreativen Akt des Erzählens zu begreifen.
Wie das so ist mit großen Theorien, weiß man auch bei Bhaba nicht so recht, ob seine Aussagen denn nun komplex oder vielmehr äußerst offensichtlich sind. Schließlich dürfte inzwischen allgemein bekannt sein, dass die evangelikale Rhetorik eines George W. Bush den fundamentalistischen Aufrufen islamistischer Hassprediger in nichts nachsteht. Auch mag man kritisieren, dass Bhabas Ambivalenzthese riskiert, historische und globale Gleichmacherei zu betreiben, indem sie die Besonderheit jedes einzelnen Gewaltkonflikts ignoriert. Auch Bhaba selbst scheint schließlich die Einmaligkeit jeder Geschichte zu unterstreichen, wenn er die spezifisch deutsche Vergangenheitserfahrung anspricht.
Worum es Bhaba zu gehen scheint, ist ein Heraustreten aus unserer jetzigen Geschichte und Gegenwart, aus unserer Mitte heraus, um einen Blick für immer wiederkehrende Mechanismen zu gewinnen und diese aus einem Abstand heraus zu beurteilen – und dafür hat er sich den Beifall, der ihm in München uneingeschränkt gespendet wurde, durchaus verdient.
MARGRET FETZER