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Archiv-Artikel

„Deutschland wurde gerettet“

EUROKRISE Der Regierungskurs ist von „Lähmung“ und „Schuld-und-Sühne-Rhetorik“ geprägt, kritisiert FDP-Europapolitiker Graf Lambsdorff. Das verunsichere die Nachbarn

Alexander Graf Lambsdorff

■ Der 44-jährige FDP-Politiker ist Abgeordneter im europäischen Parlament. Dort ist er Vizechef der Fraktion der Allianz der Liberalen und Demokraten für Europa (ALDE).

INTERVIEW ULRICH SCHULTE

taz: Herr Lambsdorff, wie geht die deutsche Regierung in der Eurokrise vor?

Alexander Graf Lambsdorff: Die Krise brach auf, als es im Euro-Währungsraum kein Verfahren dafür gab, mit einem solchen Schuldenproblem umzugehen. Am Anfang war die Regierung natürlich von der Situation Griechenlands überrascht, und sie war verständlicherweise verärgert über die Tatsache, dass die griechische Vorgängerregierung mit falschen Zahlen operiert hatte. Dieser Ärger ging dann allerdings in eine Lähmung der deutschen Politik über. Kanzlerin Merkel und Finanzminister Schäuble setzten auf die Linie: Die Griechen müssen sparen, also selbst mit dem Problem klarkommen.

Merkel sagt, Hilfe müsse an Bedingungen geknüpft sein. Was ist daran falsch?

Eine „Schuld und Sühne“-Rhetorik kommt innenpolitisch gut an. Schließlich gibt es in der Bevölkerung einen Widerwillen dagegen, immer mehr Geld für andere Staaten bereitzustellen, was ich auch gut verstehe. Das Problem ist nur: Man kann nicht auf eine solche Rhetorik setzen und in letzter Sekunde doch Hilfe bewilligen, das verwirrt die Bürger. Und es führt zu Irritationen der anderen EU-Staaten.

Wie sehen diese aus?

Unsere europäischen Partner fragen sich, was Deutschland will. Für sie war nicht vorhersehbar, wie wir uns verhalten würden. Die belgische Zeitung Le Soir titelte neulich „Die Deutschland-Krise“ – nicht mehr: „Die Griechenland-Krise“. Ich habe den Eindruck, in Berlin wurde zu wenig wahrgenommen, wie substanziell dieser Schaden ist. Deutschland ist so eine Art FC Bayern München der EU …

Mächtig, aber unsympathisch?

Wir werden wegen unserer Leistungen respektiert, aber populär sind wir deshalb nicht, jedenfalls nicht bei allen. Und politisch wird Deutschlands Kurs schon wegen unserer Größe von den anderen immer besonders genau betrachtet. Da ist eine unklare Linie nicht hilfreich. Verunsicherung über den deutschen Kurs bei unseren Nachbarn ist immer gefährlich, da brechen schnell historische Dinge wieder auf, zu Unrecht, klar, aber so ist es nun einmal. Die Bundesregierung hätte ihren Kurs besser begründen müssen.

Beim Krisengipfel hat Merkel mit Sarkozy den Kompromiss vorbereitet. Hilft das?

Der Krisengipfel hat die Lage entspannt und die deutsche Isolation beendet. Man kann sagen, Deutschland wurde durch die Initiative der anderen gerettet. Andererseits wurde es so auch möglich, auch deutsche Positionen durchzubringen. Es wurden endlich Kompromisse geschlossen, die über den Tag hinausweisen.

Oder braucht Griechenland perspektivisch neue Hilfe?

Ich hoffe, dass das Paket reicht. Es bannt die Gefahr des unkontrollierbaren Staatsbankrotts, es verschafft dem Land Luft, um aus der Krise herauszukommen. Dabei waren die Laufzeitverlängerung der Anleihen und die Senkung der Zinsen wichtige Schritte. Zudem führt die Beteiligung der Banken – eine Position der FDP – dazu, dass nicht die Steuerzahler die ganze Last tragen.

Bleiben die nationalen Parlamente in der Eurokrise zu sehr außen vor? Ihr Parteifreund, der Bundestagsabgeordnete Frank Schäffler, befürchtet gar eine „Kastrierung des Bundestags“.

In der Tat gibt es im Bundestag fraktionsübergreifend die Befürchtung, die deutsche Regierung mache haushaltswirksame Zusagen für die nächsten Jahre, bei denen das Haushaltsrecht des Parlaments ausgehebelt wird. Diese Mahnungen sind absolut richtig, dieses Recht dürfen sich die Abgeordneten auf keinen Fall nehmen lassen.

Was muss passieren?

Finanzminister Wolfgang Schäuble täte gut daran, auf diese Kritik einzugehen. Und die Gesetzesverfahren so zu strukturieren, dass der Bundestag umfassend beteiligt wird.