: Zu Gast in der Höhle der Möwe
Einst hat unser Autor selbst gegen das noble Hamburger Wasserturmhotel mit Gaubenblick demonstriert, jetzt verbrachte er eine Nacht darin. Bericht von einem leicht schizophrenen Ortstermin im Schanzenviertel
VON JAN FREITAG
Als eine erdrückend freundliche Frauenstimme mich willkommen heißt und sich das Rolltor öffnet, geht alles plötzlich sehr schnell. Fenster hoch, Motor an, sanft beschleunigen, einparken, aussteigen, hochgehen und drin bin ich – im Wasserturmhotel. Als Gast. Die Empfangsdame der baulich schönsten aller Hamburger Luxusherbergen begrüßt mich per Handschlag. Und dann auch noch namentlich.
Ein komisches Gefühl. Schließlich waren Minuten zuvor noch Zweifel in mir hochgekrochen: Lassen die mich überhaupt rein? Vielleicht erkennt man mein Gesicht an der Rezeption, womöglich liegen schwarze Listen hinterm Tresen, Fotos all derer, die gegen das umstrittenste Hotelprojekt der Republik im linksalternativen Schanzenviertel demonstriert haben. Zu Baubeginn fast täglich, zuletzt vor wenigen Wochen.
Meine Angst ist natürlich unbegründet; ich lief ja eher in den hinteren Protestreihen, als die Sanierung des 150 Jahre alten Reservoirs zum Luxushotel vor zweieinhalb Jahren begann. Aber in einer Stadt wie Hamburg neigt man mittlerweile zum Verfolgungswahn. Tiefschwarz regiert, ist sie von unverblümter Wirtschaftsfreundlichkeit ergriffen und spielt auch ordnungsstaatlich eine Vorreiterrolle. Hafencity, Einkaufszentren, Airbuslandebahn – wenn an Alster und Elbe etwas politisch gewollt ist, boxt die Stadt es durch.
Das war auch beim 60 Meter hohen Wasserturm im Schanzenpark nicht anders. Zehn Jahre zuvor hatte der Besitzer – ein Münchner Architekt – offiziell verkündet, was viele ahnten: Aus dem prächtigen Klinkerbau in der einzigen Grünfläche weit und breit werde kein Mischprojekt aus Büros samt öffentlichem Raum, sondern ein Vier-Sterne-Haus der Marke Mövenpick.
Nun stehe ich in der Höhle der Möwe, wie ihre Gegner spotten, und fühle mich elend. Der Grund: Es ist wunderschön geworden. Unter wellenförmigen Deckenverkleidungen führt ein Förderband vom gediegenen Souterrain zur noch gediegeneren Empfangshalle empor. Unter großzügigen Lichtschächten dominiert zurückhaltende Eleganz, in den Mauerfluchten hängen Fotos aller Epochen. Unablässig dröhnt ein Schiffshorn – an der Waterkant setzt man gern auf seemännisches Ambiente. Auch deshalb kann man auswärtigen Gästen (bei entsprechender Solvenz) eigentlich nur zur Übernachtung raten. Wie ein Kreuzgang führt das uralte Klinkergemäuer zu den Liften. Sein meterdickes Fundament wurde nur teilweise beseitigt. Beton als Accessoire – in der Branche gilt derlei Schlichtheit als Avantgarde.
Im Umfeld steht der Begriff eher für Strukturwandel und sozialen Kahlschlag. Für die Realität also, meint Jörg Mehnert. Er lebt seit 30 Jahren im Viertel. Noch. Denn das Hotel sei „der Eisbrecher für die Vertreibung alternativer Lebensentwürfe“, von Leuten wie ihm also. Sein „Netzwerk zum Erhalt des Schanzenparks“, ein loser Zusammenschluss von Anwohnern und Geschäftsleuten, will das verhindern. Auf friedlichem Weg, versteht sich. Aggressivere Angriffe auf die Baustelle wurden den Autonomen aus dem Umfeld des besetzten Stadtteilzentrums „Rote Flora“ zugeschrieben.
Daher überrascht es wenig, dass der erste Gast einzog, als sich der Protest gerade einem anderen Luxushotel widmete: dem von Heiligendamm. Die Hamburger Eröffnungsparty fiel trotzdem aus. Kathrin Wirth-Ueberschär lächelt. „Soft Openings“ seien durchaus üblich, sagt die Hotelsprecherin.
Sie verkauft die Investition von rund 50 Million Euro als Gewinn für alle. Und alle seien eingeladen, sich umzusehen. Natürlich nicht in den 17 Wohnetagen. Es sei denn, man hat 990 Euro übrig. Und eine Chipkarte, ohne die der Fahrstuhl nicht startet. Aber das Restaurant, die Lobby, eine Bar seien öffentlich. „Wir wollen gute Nachbarn sein.“ Es klingt ehrlich. Ärger schreckt Kunden ab. Mit den Platzverweisen gegen die Protestler will die Assistentin des Managements folglich nichts zu tun haben. „Da müssen Sie das Bezirksamt fragen“, rät sie. Der Investor zahle jedenfalls über eine Million Euro an soziale Initiativen vor Ort, als Ausgleich für die Privatnutzung öffentlichen Raums.
Befürworter des Hotels kritisieren zudem den Mangel an Alternativen. Der Erhalt des baufälligen Gebäudes ohne Einnahmequellen – als soziales Zentrum etwa – wäre in der Tat schwer finanzierbar gewesen. So mag ein Luxushotel zwar ethisch bedenklich sein, betriebswirtschaftlich aber war es das nie. Ein idyllischerer Standort zwischen City, Szene und Messe ist aus gastronomischer Sicht kaum denkbar.
Überhaupt die Perspektive. Von meinem Gaubenfenster im 14. Stock hat man einen tollen Blick über die Stadt. Nur das Polizeikontingent am Fuße des Turms ist von hier oben unsichtbar. Doch selbst wenn die offiziellen Verlautbarungen stimmen, das Freizeitverhalten im Park bleibe davon unbehelligt, ist er leerer geworden. Irgendwie passt das bunte Freizeithappening von einst eben doch nicht unter ein Hotel mit beheizten Geländern.
Das Hotel vermarktet das multikulturelle Nebeneinander dennoch als Alleinstellungsmerkmal. Auch seinen Garten. Wenn demnächst die Terrasse eröffnet, soll der letzte Bauzaun verschwinden. Dann, prophezeit Netzwerker Mehnert, „wird es spannend“. Als mich tief in der Nacht ein Lautsprecher auffordert, das Hotel durchs Treppenhaus zu verlassen, denke ich ähnlich. War das ein Anschlag? „Es gibt ja viele, die das Hotel hier nicht wollen“, murmelt ein Evakuierter im Park und blinzelt ängstlich in den dunklen Park. Da ist er wieder, der Verfolgungswahn. Dabei war es falscher Alarm. Natürlich. Und auch wenn eine leichte Schadenfreude darüber nicht zu leugnen ist, bin ich doch froh, wieder ins Bett zu dürfen, hoch in den Turm und die edle Noblesse seiner Zimmer. Wirklich schön hier. Nur leisten könnte ich sie mir nicht.