: Nach wie vor ein Tabuthema
betr.: „Erste Versuche zu einer Geburtenkontrolle in Afrika. Sechs Kinder sind drei zu viel“, taz vom 27. 6. 07
In der letzten Zeit ist gerade im Zusammenhang mit G-8-Treffen viel vom Kampf gegen Armut in Afrika in die Rede. Je nach politischem Standort werden unterschiedliche Ursachen für die zunehmende Armut auf dem Kontinent benannt – das Bevölkerungswachstum taucht dabei so gut wie überhaupt nicht auf. Dabei dürfte es doch auf der Hand liegen, dass sich die Verdopplung der Bevölkerung eines Landes in dreißig oder vierzig Jahren, in dem bereits jetzt die Mehrheit der Menschen in Armut lebt, verheerend auswirken muss, auch wenn sich im Einzelnen noch Potenziale industrieller und landwirtschaftlicher Entwicklung identifizieren lassen. Von daher begrüße ich den Artikel von Marc Engelhardt.
Überrascht hat mich allerdings die Aussage, überall in Afrika sei Überbevölkerung ein „heißes Thema“. In den Ländern Afrikas, in denen ich seit vielen Jahren unterwegs bin, ist davon nichts zu spüren. Für die politisch Verantwortlichen scheint es nach wie vor ein Tabuthema zu sein. Und selbst Familienväter, die sich der Bürde ihrer großen Kinderschar bewusst sind, haben als Erklärung nur „Gottes Wille“ und „unsere afrikanische Kultur“ anzubieten. Eigenverantwortung ist nicht angesagt. Dies würde ja bedeuten, sich aktiv und kritisch u. a. mit dem ungleichen Geschlechterverhältnis und tradierten Vorstellungen von Männlichkeit auseinanderzusetzen, die oftmals an der Zahl der Kinder festgemacht wird und den Wert einer Frau danach bemisst, wie viele männliche Kinder sie geboren hat. Dies würde auch bedeuten, Sexualaufklärung Jugendlicher entschieden anzugehen, statt sie als Förderung von Promiskuität zu diffamieren – die hohe Zahl von Schwangerschaften unter Teenagern ist alarmierend.
Die bei uns weit verbreitete Ansicht, die Menschen in Afrika hätten viele Kinder, um im Alter versorgt zu sein, ist ebenfalls von der Wirklichkeit weitgehend überholt. Wo sind denn die Einkommensmöglichkeiten, die es den erwachsenen Kindern ermöglichen, neben den eigenen Familien ihre Eltern mitzuversorgen? Zumindest im südlichen Afrika ist es nicht selten, dass Frauen im Rentenalter sich noch irgendwo verdingen, um für sich, ihre arbeitslosen Kinder und Enkelkinder zu sorgen.
Sehr bedenklich finde ich auch die von Marc Engelhardt zitierte Äußerung eines ruandischen Stadtentwicklers, die Lösung des Bevölkerungsproblems sei durch Verstädterung zu erreichen, denn genau so habe sich Europa zu einem prosperierenden Kontinent entwickelt. Hat er bei dem Vergleich nicht etwas Wesentliches vergessen, nämlich die Industrialisierung, die einen großen Teil der Landflüchtigen absorbierte und sie zu einem Industrieproletariat werden ließ, das sich organisierte und so erfolgreich für die Verbesserung der eigene Lage kämpfen konnte? Angesichts der verheerenden Zustände in den Slums der großen Städte Afrikas, der keine entsprechende Arbeitsplatzentwicklung gegenübersteht, mutet eine derartige Aussage zynisch an.
Wie gut, dass sich Ruanda nicht auf eine forcierte Landflucht verlässt, sondern mit innovativen Ideen den Menschen die Möglichkeit gibt, dort wo sie leben ihre Familien zu begrenzen, um damit den Kindern bessere Chancen für ihren Lebensweg zu geben.
BRIGITTE REINHARDT, Bad Honnef