: Auf den steilen Pfaden des Bettelmönchs
PILGERN Ein Tag zu Fuß durch Mittelitalien. Die Pasta schmeckt nach Himmel. Und immer und überall dabei: Franz von Assisi
■ Die Anreise: Direktzüge nach Florenz fahren von München ab. Die Nachtzüge fahren abends gegen 21 Uhr ab und kommen am nächsten Morgen um 8.30 Uhr in Florenz an. Direktflüge nach Florenz gibt es bei der Lufthansa von Frankfurt oder München aus. Tui fliegt von Stuttgart, Air Berlin von Hamburg, Hannover, Berlin und Stuttgart.
■ Der Plan: Das Buch zum Weg mit detaillierten Informationen stammt von Angela Maria Seracchioli und heißt „Der Franziskusweg. Von La Verna über Gubbio und Assisi nach Rieti“. Es ist im Tyrolia Verlag erschienen, 19,95 Euro.
■ Im Netz: www.diquipassofrancesco.it
VON JULIA REICHARDT
La Verna. Ein Kloster zwischen Himmel und Erde, gelegen auf dem Monte Penna im Nationalpark Foreste Casentinesi. Der erste Halt auf dem Franziskusweg. Kein Ort, wo die Zitronen blüh’n – stürmisch, neblig, mystisch ist es. Wenn hier oben der Herbstwind weht, erinnert die sonst so liebliche Toskana an das schottische Hochland.
Noch ist der Franziskusweg für Pilger ein Geheimtipp. Mehr als 350 Kilometer zieht er sich durch Mittelitalien. Noch kann man die Einsamkeit der umbrischen Hügel genießen, muss sich die Einsiedeleien nur mit den Bergziegen teilen. Doch die Zahl der Pilger wächst, sie verdoppelt sich von Jahr zu Jahr. Wer abseits der Touristenmassen in Ruhe pilgern will, sollte bald den Rucksack packen.
Der Weg führt durch dichten, urtümlichen Wald. Efeu rankt von den Ästen der Bäume, die Hänge der Schluchten sind üppig bewachsen. Gewaltige Felsen säumen den Pfad. Eine Landschaft wie gemacht für Einsiedler auf der Suche nach transzendenten Erfahrungen.
Schweiß statt Dolce Vita
Der heilige Franz – oder Franziskus – von Assisi stieg den Monte Penna oft hinauf, um in einer Nische im Fels zu meditieren. Der Legende nach empfing er hier im Jahr 1224 die Stigmata, die Wundmale Christi. Die kleine Einsiedelei auf dem Gipfel wurde im Mittelalter zum Kloster ausgebaut. Ein imposanter Mauerring schützt die Grenze zur Außenwelt. Vom gepflasterten Piazzale des Klosters blickt man auf die Bergketten des Apennin. Ringsumher nur Stille, Natur und grauer Fels, der der Zeit selbst zu trotzen scheint.
Der Franziskusweg führt durch die Toskana, durch Umbrien und Latium, in insgesamt 21 Tagesetappen. Die Strecke ist mit dem griechischen Buchstaben Tau in gelber Farbe markiert, dem Symbol der Franziskaner. Anders als auf dem Jakobsweg ist auf dem Cammino di Francesco noch Abenteuergeist gefragt, nicht immer findet man die Markierungen sofort. Der Pfad führt auch nicht zum Grab des Heiligen, er verbindet Orte, an denen Franz von Assisi gelebt und gewirkt hat, auf Wegen, die der Heilige selbst beschritten hat.
Franz von Assisi war der Sohn eines reichen Tuchhändlers, der sich nach Jahren der Ausschweifungen vom Dolce Vita verabschiedete. Er machte mit der Bergpredigt ernst, lebte in Armut und Askese, gründete schließlich seinen Bettelorden. Rosselini, Hesse, Liszt ließen sich von seinem Leben zu Meisterwerken inspirieren – wer will, kann die Pilgertour auch erst in Assisi beginnen oder sich auf das Rieti-Tal konzentrieren. Der Weg ist auch hier das Ziel.
Der Pfad führt vorbei an Steineichen, Feigenbäumen, verblühten Sonnenblumen, die ihre schweren Häupter zum Boden neigen. Man watet barfuß durch den Tiber, wandert hügelauf, hügelab über saftige Wiesen, durch idyllische Dörfer und herbstliche Wälder bis ins mittelalterliche Städtchen Gubbio, wo Franziskus einen Wolf gezähmt haben soll. Die Waden schmerzen, der Schweiß läuft von der Stirn, die Riemen des Rucksacks schneiden in die Schulter. Nach einem langen Tagesmarsch schmeckt die Pasta wie das Mahl eines Königs, die heiße Dusche und die harte Matratze in der Herberge sind besser als ein Besuch im Wellnesscenter. Der Reichtum liegt in der Einfachheit, ganz im Sinn des heiligen Franz.
Nach 180 Kilometern, auf halber Strecke, taucht in der Ferne der Monte Subasio auf. An der Flanke des Berges liegt die Stadt Assisi, der Geburts- und Sterbeort des Heiligen. Stille und Einsamkeit sind schlagartig vorbei. In der Altstadt jagen philippinische Nonnen nach Souvenirs, Automaten spucken Fertigsuppen und Rosenkränze aus. Zahllose Pilger strömen zur berühmten Basilica di San Francesco, wo Franz von Assisi begraben liegt. Nur zwei Jahre nach seinem Tod wurde er heilig gesprochen, ihm zu Ehren errichtete man die Kirche. Aus Angst vor Plünderungen hielt man die Lage der Grabkammer lange geheim, erst Anfang des 20. Jahrhunderts wurde Pilgern der Zutritt gewährt.
Am Stadtrand liegt die Foresteria Perfetta Letizia, die Herberge zur vollkommenen Fröhlichkeit. Sie gehört Angela Maria Seracchioli, die den Franziskusweg mit Reiseführer und Website bekannt gemacht hat. „Man fragt mich oft, ob man die ganze Strecke schaffen kann“, sagt sie und lacht. „Guck mich an: Ich bin dick, rauche und bin den Weg dreimal gegangen.“ Früher standen auf ihrem Grundstück die einfachen Hütten der Mönche, heute kommen an den langen Tischen der Herberge Pilger aus aller Welt zusammen.
Da sind Ina und Peter aus Deutschland, die sich vor zwei Jahren auf dem Franziskusweg verlobten und die Tour mit ihrem acht Monate alten Sohn Lukas wiederholen. Giuseppe und Maria aus Mailand haben vor wenigen Tagen in der Herberge geheiratet, wollen in den Flitterwochen den Jakobsweg bewandern. Ein alter Priester, ein junger Pilger mit Beinprothese, eine buddhistische Nonne – die Herberge zur vollkommenen Fröhlichkeit ist eine unvergessliche Station auf dem Franziskusweg.
Ein Schritt wie ein Atemzug
Giottofresken, Einsiedeleien, mittelalterliche Städte – der Cammino di Francesco ist ein Mosaik aus Kunst, Natur, Geschichte und Religion. Er lockt keinesfalls nur fromme Christen an. „Für mich ist der Weg wie eine Meditation“, sagt Stefania aus Südtirol, die zum Buddhismus neigt. „Beim Pilgern folgt ein Schritt dem anderen, so natürlich wie ein Atemzug dem nächsten folgt.“ Markus, der aus Köln kommt, genießt das „unendliche Gefühl der Freiheit“, das beim Pilgern, nur mit dem Rucksack auf den Schultern, entsteht. Caroline aus Frankreich redet nur wenig beim Gehen, obwohl sie und ihr Mann schon seit einer Woche unterwegs sind. Langweilig wird den beiden nicht: „Ohne Mobiltelefon, Fernseher und Internet schärft man seine Sinne. Beim Pilgern kommen uns immer die besten Ideen.“
Spello, Trevi, Spoleto, Collescipoli: Der Franziskusweg führt quer durch die Dörfer Umbriens. Noch ein Hügel, ein Anstieg und die letzte Etappe ist geschafft. Die winzige Einsiedelei Speco di Poggio Bustone am Ende des Weges bildet das bescheidene Pendant zum großen Kloster La Verna, wo die Reise begann. Sie schmiegt sich eng an eine verwitterte Felswand, thront wie ein Balkon über dem Tal von Rieti. Ein Pilger zieht am alten Glockenstrick der Kapelle und läutet den Abend ein. Unten, am Fuß des Berges, steht das Convento San Giacomo, in dem Franz von Assisi vor rund 800 Jahren die Basis für seine Ordensgemeinschaft legte. Auf dem Vorplatz des Klosters schlägt eine Gruppe langhaariger Pilger mit Schlapphüten ihr Nachtlager auf und genießt den Panoramablick über den Lago Lungo. Hier draußen vor der Klosterpforte, im Licht der untergehenden Sonne, spürt man den Geist des jungen Francesco Bernardone, bevor ihn die Kirche heilig sprach.