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Archiv-Artikel

DIE DRESSUR VON NETFLIX DEUTSCHLAND, AMAZON UND TWITTER Wanna play, Algorithmus? Kannste haben

MEIKE LAAFF

Vor ein paar Minuten ist der Abspann von „Precious“ über meinen Bildschirm gelaufen, da kommt der Netflix-Algorithmus in Schwung. „Sie haben ‚Precious‘ angesehen“, verkündet mir der Startseitenbildschirm von Netflix. „Wie häufig schauen Sie sich Gesellschaftsdramen an? Häufig, selten, nie.“

Ach, Zukunft. Wie soll man denn Menschen die Dringlichkeit des Debattierens über Datenverschränkungen erklären, wenn die Consumer-Algorithmen sich immer so clever anstellen wie ein Stück Brot? Seite für Seite wird vollgeschrieben, wie Netflix bis ins Detail erforscht, was seine Nutzer wollen, um ihm dann genau das zu präsentieren, was er will. Und dann so was? Ich klicke „nie“ an. Niemals schaue ich Gesellschaftsdramen an. Eat this, Algorithmus. Ha, denke ich mir. Und scrolle durch die weiteren Vorschläge, was mich noch interessieren könnte. Natürlich leitet der Algorithmus aus meinem Interesse an der Serie „Luther“ und „Capote“ ab, dass mich auch „Sherlock“ interessieren könnte. Was durchaus stimmt. Nur habe ich mir auch bereits „Sherlock“ angesehen. Auf Netflix. Die potente Künstliche Intelligenz im Consumerbereich lässt noch ein bisschen auf sich warten.

Nicht viel besser auf Amazon. Kunststück, dass der Algorithmus weiß, welche Neuerscheinung mich interessieren könnte. Sind ja auch genau die, die ich mir beim letzten Besuch gekauft habe! Dann wollen wir mal Amazon verwirren. Algorithmischer Ungehorsam sozusagen. Wenn mich etwas überhaupt nicht interessiert, sind das Autos. Ich suche nach Zündkerzen und kaufe dann fünf Weihnachtsgeschenke. Innenstädte veröden, Logistikcenterangestellte rennen sich die Füße platt – aber immerhin haben Amazons Algorithmen was zum drüber nachdenken.

Was natürlich höchst kindisch ist. Natürlich wird bei Amazons Programmierern mal jemand auf die Idee gekommen sein, dass das Konsumverhalten in der Vorweihnachtszeit von den eigentlichen Konsumwünschen abweicht. Und natürlich hat Netflix Deutschland auch einfach nicht genug anständige Filme im Angebot, um mir ein schlauer auf mich zugeschustertes Angebot zu machen.

Aber so wie andere Menschen Freude daran finden, ihre Sims-Avatare zu quälen, mach ich jetzt auf Algorithmus-Dressur. Wie stark kann ich die Biester verwirren?

DIE FÜNFTAGESVORSCHAU KOLUMNE@TAZ.DE

Montag Josef Winkler Wortklauberei

Dienstag Jacinta Nandi Die gute Ausländerin

Mittwoch Matthias Lohre Konservativ

Donnerstag Margarete Stokowski Luft und Liebe

FreitagMichael BrakeKreaturen

Weiter zu Twitter. Ich favorisiere einen Abend lang einfach mal alles, was mir vor die Flinte kommt. Gut, nicht wirklich alles, ein paar Tweets waren mir dann doch zu peinlich. Als ein US-Journalist das bei Facebook gemacht hat, explodierte ihm Tags drauf die Timeline.

Bilanz bei Twitter am nächsten Morgen: Immer noch Ferguson, Ferguson, Ferguson, meine US-Timeline schläft, meine deutsche Tech-Timeline ventiliert sich nach den üblichen voraussehbaren Schemata an Feminismusgedöns, deutschem Innenpolitikgeplänkel, Zukunft des Journalismus und Trivia aus. Nichts Neues hier. Außer fünf neuen Followern. Hoffentlich sind die wenigstens Bots. Dann wäre ja zumindest irgendein Algorithmus auf meine plumpen Dressurversuche reingefallen.