Aufschwung durch Verunsicherung

Schleswig-Holsteins Wirtschaftsminister kann der Terror-Angst auch Gutes abgewinnen: einen Milliarden schweren Markt und 7 Prozent Wachstum. Nun lud er 170 Experten zu einer Konferenz, die in anderen Branchen „Verkaufsmesse“ geheißen hätte

90 Prozent des gesamten Welthandels, fast 95 Prozent des Außenhandels der Europäischen Union und nahezu 70 Prozent des deutschen Im- und Exports werden nach Angaben von Schleswig-Holsteins Wirtschaftsminister Dietrich Austermann (CDU) ausschließlich über See abgewickelt. Er verwies auf die große Bedeutung der Handels-, aber auch die Zunahme der Kreuz-Schifffahrt. Schleswig-Holstein sei mit seinen Küstenlinien von etwa 1.190 Kilometer an Nord- und Ostsee sowie den Wasserstraßen und Häfen auch Gefahren ausgesetzt, die besondere Herausforderungen stellten. Daher soll ein „Netzwerk für Sicherheitstechnologien“ Küsten und Häfen zwischen den Meeren schützen.  DPA/TAZ

von ESTHER GEISSLINGER

Stürme, Skorbut und Seeungeheuer hießen die Schrecken der Weltmeere in früheren Jahrhunderten. Heute zittern Kapitäne, Reeder und Hafenbetreiber vor anderen Gefahren: vor Piraten, Havarien und natürlich vor al-Qaida. Aber die Angst vor Angriffen hat auch positive Seiten: Wer Sicherheitstechnologie produziert, kann heutzutage richtig Gewinne machen. Gestern kamen in Kiel 170 Sicherheitsexperten aus ganz Norddeutschland zusammen – eingeladen hatte nicht etwa das Innen-, sondern das Wirtschaftsministerium. Ziel der Veranstaltung mit und für Fachleute von Verfassungsschutz, Bundeswehr und Polizei war es, „Schleswig-Holstein als Schaufenster der Sicherheitstechnologie“ darzustellen.

„Mehr Schutz bedeutet mehr Wirtschaft“, fasste Minister Dietrich Austermann (CDU) zusammen. „Wir wollen deutlich machen, dass die Firmen mit ihrem Know-how den aktuellen Bedrohungen begegnen können.“ Bisher sei nur problematisch, dass es „zu viel Nebeneinander“ bei der Herstellung von sicherheitsrelevanten Produkten gebe und die „Nachfrage ungeordnet“ sei. „Diese Konferenz“, so Austermann, „bringt erstmals die Vertreter beider Seiten zusammen.“ In anderen Branchen heißt so etwas „Verkaufsmesse“.

Rund 30 Firmen in Schleswig-Holstein sind im maritimen Sicherheitssektor tätig, 20 beteiligten sich an einer Umfrage des Ministeriums. Es geht um Hightech: Ortungstechniken wie Echolot und Sonar, Funksysteme, Wärme-empfindliche Kameras und Sensoren. Nicht all das kann nur gegen böse Buben mit Bomben eingesetzt werden, und so sprach Hans Driftmann, Präsident des Unternehmensverbandes Nord von einer problematischen „Parzellierung der Sicherheitspolitik: Was ist zivil, was militärisch?“. Je nachdem, wie ein Produkt eingestuft war, gab es Förder- oder Forschungsmittel.

Mit dieser Trennung solle Schluss sein, forderte Driftmann. Viele Firmen, etwa Softwareentwickler, wüssten vielleicht noch gar nicht, dass ihre Programme auch der Gefahrenabwehr dienen könnten, so Austermann. Der Sicherheitsmarkt sei milliardenschwer, die Wachstumsraten lägen um sieben Prozent. Dank weltweitem Terror – und der beträchtlichen Gewinnspannen – könnten sich mehr Firmen zum Geschäft mit der Sicherheit bekennen. „Viele halten bisher hinterm Berg“, sagte Driftmann, „weil es vom Image her nicht so günstig war.“

Dieses Image wandelt sich offenbar: So erhielt die Lübecker Firma Visi Consult für ein mobiles „Gepäckinspektionssystem auf Röntgenbasis“ im vergangenen Jahr einen Technologiepreis. Das Gerät kann beispielsweise eingesetzt werden, um herrenlose Koffer auf Bomben zu untersuchen.

Zur aktuellen Bedrohungslage gab es dagegen gestern kaum Neues: Heinz Fromm, Präsident des Bundesverfassungsschutzes, berichtete von al-Qaida-Aktivitäten und betonte, Wirtschaft und Staat müssten beim Sabotageschutz zusammenarbeiten. In einer zur Konferenz herausgegebenen Studie des Wirtschaftsministeriums werden bekannte Szenarien mit hohem Risiko bewertet: eine Bombe auf einem Kreuzfahrtschiff oder ein Anschlag auf Passagierfähren. Zu weiteren Ideen wollte Austermann sich nicht äußern: „Ich will Verrückten keine Tipps geben.“ Verbessert werden könnte und müsste aber noch einiges – „ich glaube, die Bevölkerung begrüßt alles, was zum Schutz beiträgt“.

Ein messbares Risiko stellen Piratenüberfälle dar: Zwischen 20 und 30 Milliarden Euro Schaden verursachen die Freibeuter jährlich. Niedersachsens Wirtschaftsminister Walter Hirche (FDP) beurteilt die Sicherheitslage offenbar milder als Austermann: Wer mit dem Schiff zu einer ostfriesischen Insel fährt, muss seine Taschen nicht darauf hin kontrollieren lassen, ob neben der Stulle auch die Bombe liegt. „Das wäre bei dem Gedränge an den Fähren völlig unmöglich gewesen“, sagte Hirche jetzt in einem Interview. Auf niedersächsischen Druck habe der Bund bei der Europäischen Kommission erreicht, die Fahrten zu den Inseln von den international vorgeschriebenen Kontrollen auszunehmen.