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Archiv-Artikel

Wir bauen das Land aus unserem Lachen

Deutschland suchte und fand die Superhymne. Doch bis es so weit war, herrschte Verwirrung im Ballhaus Naunynstraße, denn die meisten Vorschläge für eine neue Nationalhymne waren recht unhymnenhaft

„Entstanden zur Zeit des Völkerfrühlings, der Zeit der Entstehung der europäischen Nationalstaaten, ist die Nationalhymne nicht mehr zeitgemäß“, war auf der Website „Superhymne.de“ zu lesen. Die Migranten würden mit dem alten Lied nicht repräsentiert. Die alte Hymne einfach auf Türkisch zu übersetzen – wie unser König Christian Ströbele mal vorgeschlagen hatte –, genüge nicht. Deshalb brauche man eine neue. 15 Musiker und Bands machten also Vorschläge und wurden Mitte Juni gecastet. In ihren Liedern ging es oft um Frieden. Sowohl ein Porno-Elektrorap stand zur Auswahl als auch das ambitionierte Lied eines Leipziger Atomphysikers a. D., das recht DDRig klang und naturgemäß keine Chance beim jugendaffinen Internetvoting hatte, bei dem die sechs Finalteilnehmer ermittelt wurden.

Ungefähr hundertfünfzig Leute sind schließlich zum Finale des Wettbewerbs „Deutschland sucht die Superhymne“ in das schöne Ballhaus Naunynstraße gekommen. PR Kantate moderiert die Veranstaltung. Dabei fällt mir ein, wie vor ein paar Wochen ein Freund, der grade an einem Pubquiz teilnahm, per SMS gefragt hatte, was das „PR“ in Kantate bedeute. Natürlich nicht „Public Relations“, sondern „Plattenreiter“! In seinem dunklen Anzug mit Turnschuhen sieht der sympathische Musiker jedenfalls aus wie Max Dax, der Chefredakteur der Spex. Außerdem hat PR Kantate gerade eine neue Platte veröffentlicht. Wie auch das sechsköpfige multikulturelle Nomad-Soundsystem, das den Abend mit einer gut tanzbaren, orientalisierten Crossover-Musik eröffnet. Dann tritt Heiland auf. Früher hätte der vielleicht Zwanzigjährige sicher „Highland“ geheißen. Er wirkt schüchtern und hat ein rotes Täschchen dabei. Sein schönes, reduziertes Lied, dessen Text an den mittleren Funny von Dannen erinnert, heißt: „Die Welt ist schön“.

Danach kommt Fritz Felon auf die Bühne. Mit einem fröhlichen „Hallo Berlin“ begrüßt der Berliner die Berliner. Er trägt eine Armeehose und einen Stern auf dem T-Shirt. Sein Deutschrocklied heißt „Bei dir sein“, hat wie alle anderen Lieder sicher auch Hitqualitäten, ist aber nicht so recht nationalhymnentauglich. Mac Sufferah dagegen hat ein Anliegen und Klänge der Natur aneinandergereiht. Die vielköpfige Kombo Prunx wiederum ist mit einer Zeitmaschine aus den Siebzigern hierhergereist. Damals haben sie sicher oft mit Rudi Dutschke und Ton Steine Scherben rumgehangen. Während des Vortrags spielt einer der Prunx mit Buchstabenwürfeln. Es entstehen Worte wie „Love“ oder „Ponx“. Im Grunde genommen verfolgen sie einen dekonstruktivistischen Ansatz: Die Verwirklichung des Anliegens ihres gauklerhaften Songs – „Anarchie, Anarchie“ – würde diesen als Nationalhymne allerdings überflüssig machen. Das Liebeslied „So wie du …“ der Band des Deutschbrasilianers Paffenholz klingt ein wenig nach Xavier Naidoo und hat auch wieder überhaupt nichts Nationalhymnenhaftes. Dann aber kommt die berühmte Berliner Dragqueen Gloria Viagra auf die Bühne. Mit Stöckelschuhen ist sie schätzungsweise 2,30 Meter groß. Sie wollte eigentlich keine Hymne für dies bösartige Land schreiben und träumt von einem anderen Land, „das keine Grenzen kennt / wir bauen es aus unserem Lachen / und zusammen lassen wir es krachen“.

Kantate sagt nun, er sei von allen Liedern „relativ irritiert“ gewesen. Dann singt er die 1950 von Bertolt Brecht geschriebene Kinderhymne „Anmut sparet nicht noch Mühe“. Erwartungsgemäß gewinnt Gloria Viagra den Wettbewerb. Alle kriegen Preise, Wunderkerzen werden entzündet, Luftballons fliegen. Das alles ist Quatsch, aber doch sehr nett. DETLEF KUHLBRODT

Alle Kandidaten und Clips sind auf www.superhymne.de zu finden