: Vampire an der Leine
FESTIVAL Das traditionsreiche Fährmannsfest in Hannover bietet Programm für die ganze Familie: Die Bandbreite reicht vom Mitmachzirkus über Flensburger Punkrock bis hin zu konsensfähiger Tex-Mex-Coolness – und das bei sehr zivilen Preisen
VON MICHAEL SAAGER
Die Band in Robert Rodriguez‘ Splatter-Filmspaß „From Dusk Till Dawn“ (1996) hat Glück. Erstens gehören die Bandmitglieder einer Spezies an, die damals schon schwer angesagt war und die in den letzten Jahren einen weiteren, erheblichen Popularitätsschub erfahren durfte: Es handelt sich um Vampire. Zweitens „überleben“ unsere blutsaugenden Musiker als einzige das grauenhafte Massaker von Menschenhand. So viel zur Fiktion.
Die Band im Film gibt es tatsächlich, sie heißt Tito & Tarantula und ist der Headliner beim Fährmannsfest in Hannover. Ihr Film-Hit von einst titelte „After Dark“ – ein wüstenstaubiger Tex-Mex-Heavy-Blues-Rocker mit einem heiseren Tito Larriva am Mikrofon. Nach dem Film ging‘s karrieremäßig eine Weile steil bergauf, irgendwann nicht mehr. So weit die Geschichte.
2008 erschien nach längerer Pause Tito & Tarantulas bislang letztes Album „Back Into The Darkness“. Es bietet soliden amerikanischen Wüstenrock mit Hang zu schweren Riffs; ein paar Balladen gibt‘s auch. Ein Video auf YouTube zeigt den Sänger bei einem Konzert auf der vergeblichen Suche nach seiner Stimme. Er soll sie inzwischen wieder gefunden haben. Zudem hat Tito nie behauptet, er sei die Inkarnation einer Nachtigall. Zu wenig Blut vorm und während des Auftritts – wahrscheinlich war‘s das.
Titos nächste Station ist das hannoversche Fährmannsfest, dieses „kleine Woodstock an der Leine“. Im Gründungsjahr 1983 ein possierliches Sonntagsvergnügen, hat sich das idyllisch im satten Grün nahe dem Wasser gelegene Fährmannsfest längst zu einem mittleren, drei Tage währenden Spektakel für die ganze Familie gemausert. Und das bei zivilen Preisen: Tagestickets kosten am Freitag und Samstag sieben Euro und am Sonntag ist der Eintritt frei.
Die lieben Kleinen müssen nicht Oma aufgedrückt werden, damit die Großen sich bei Ferkel-Pop mit Haltung von Saufziege & Fürst B. vergnügen, zu den Falafel-Beats der Ohrboten auf der Stelle hüpfen oder beim Hardcore-Punk der Couchdivers kopfüber von einer der zwei Bühnen hechten können. Die Kleinen amüsieren sich ebenso – an der Kletterwand, im Hüpfbus oder im Mitmachzirkus.
Das Fährmannsfest ist alles Mögliche, ein Spartenfestival ist es nicht. Von denen gibt‘s schließlich genug. Und so fördert man am ersten Augustwochenende nicht zuletzt regionale Bands und Künstler, lässt Dichter Dinge raunen, filigrane Liedermacher aufspielen, bietet einen Poetry-Slam und wirft auch schon mal einen nostalgischen Blick zurück: Dabei sind in diesem Jahr die verorgelten Krautrockgewächse Werner Nadolnys Jane sowie Robert Goerls und Gabi Delgado-Lopéz‘ wiedervereinigte Proto-ElectroPunk-Band DAF, deren Stücke (“Der Räuber und der Prinz“, „Als wär‘s das letzte Mal“) jedes Kind, das in den 80ern sozialisiert wurde, kennen dürfte.
Freunden melancholisch-aggressiver Wucht – man denke etwa an Jens Rachuts Hamburger Gruppe Oma Hans – sei der Auftritt der Flensburger Punkband Turbostaat ans Herz gelegt. Deren tolle Single „Pennen bei Gluffke“ erzählt souverän von der guten alten Beschissenheit der Dinge: „Ein Schultag zu Ende – Nasenbluten / eine Mutter schweigt – vielleicht auch gut / 500 neue Freunde – keiner da / Bedrohung diffus, beinahe real / und dann die Nacht“. Sänger Jan Windmeier haut einem die Worte um die Ohren, mit dramatisch-charismatischem Sprechschreigesang: verbale Faustschläge, superpräsent. So viel zur jüngeren Gegenwart.
■ Hannover: Fr, 5. 8. bis So, 7. 8., rund um den Zusammenfluss von Ihme und Leine, www.faehrmannsfest.de