: Bund verscherbelt Eisenbahn
Der Vorschlag von Verkehrsminister Tiefensee zur Bahnprivatisierung verprellt die Bürger. Der Ausverkauf von öffentlichem Eigentum verstößt gegen das Grundgesetz
Das öffentliche Eigentum ist in Gefahr und unsere Verfassung auch. Ihr Kontrahent: das große Geld. Wie nie zuvor in der Geschichte der Bundesrepublik greift es nach den elementaren Bereichen der Daseinsvorsorge: Wasser- und Energieversorgung, Gesundheit, Altersvorsorge, Ausbildung, Bildung und Kultur. Jetzt steht die Mobilität der Bürger auf der Liste der Begehrlichkeiten privater Investoren. Die Bahnprivatisierung steht ins Haus.
Es sind die Briten, die den Deutschen die Übung schon mal unelegant vorturnen. Ihr Trennungsmodell, bei dem die Infrastruktur – also Schienennetz und Bahnhöfe – in staatlichem Eigentum ist, während der Bahnbetrieb von knapp zwei Dutzend privaten „train operating units“ realisiert wird, funktioniert nicht. Das britische Modell bietet schlechten Service bei hohen Fahrpreisen; Tarife, Fahrplan und Sicherheitsstandards sind ein unübersichtlicher Flickenteppich. Das Schlimmste aber ist eine Reihe schwerer Bahnunfälle, an der die Trennung von Netz und Bahnverkehr schuld ist. So haben nicht wenige Fahrgäste die Teilprivatisierung der britischen Bahn schon mit ihrem Leben bezahlt.
Dieses Ergebnis widerlegt in makabrer Weise die These von dem „belebenden Wettbewerb“, die von den Befürwortern der Privatisierung des deutschen Bahnbetriebs vertreten wird.
Schon 1994 bei der Bahnreform liebäugelte man mit den Vorzügen der Privatwirtschaftlichkeit, als es darum ging, das Verkehrsmittel von seinem „Beamtenbahn“-Image zu lösen und zu einem kundenfreundlichen Serviceunternehmen umzugestalten. Reichsbahn und Bundesbahn wurden zu einer zu hundert Prozent in Bundeseigentum befindlichen Deutschen Bahn AG vereint. Alle Schulden der alten Bahn wurden auf den Bund übertragen, so dass die Deutsche Bahn AG schuldenfrei starten konnte.
Den Steuerzahler sollte die DB AG weniger kosten als Bundesbahn und Reichsbahn zusammen. Doch das erwies sich als falsch: 13 Milliarden jährlich mussten seitdem für die inzwischen wieder mit 20 Milliarden Euro verschuldete AG mehr aufgebracht werden. Dabei wurden das Streckennetz um 5.600 Kilometer gekürzt, 500 Bahnhöfe und Schalter geschlossen, die Zahl der Arbeitsplätze zwischen 1994 bis 2006 halbiert, das Lohnniveau für nach 1994 Neueingestellte um 20 Prozent gesenkt.
Es liegt auf der Hand, dass eine Kapitalprivatisierung diesen Negativtrend noch verschärfen würde, denn der „Kostenfaktor Arbeit“ muss bei einem auf Profitmaximierung orientierten Unternehmen so niedrig wie möglich gehalten werden. Vor diesem Hintergrund scheint es eher fraglich, dass es Verkehrsminister Tiefensee bei seinem Gesetzentwurf zur Bahnprivatisierung in erster Linie um das Wohl von Fahrgästen und Beschäftigten geht.
Eine Zusammenfassung seiner überarbeiteten und von den beteiligten Ministerien inzwischen abgesegneten Geschäftsidee liest sich juristisch wie folgt:
Das bislang hundertprozentige Eigentum des Bundes an der Bahn wird bis zu 49 Prozent an Investoren verkauft. Die Infrastruktur, also Bahnhöfe und Schienennetz, bleibt formal gänzlich im Eigentum des Bundes. Das klingt so weit ganz gut und im Sinne des Gemeinwohls, aber: Faktisch tritt der Bund alle aus diesem Eigentum resultierenden Rechte für mindestens 15 Jahre an die teilprivatisierte Deutsche Bahn AG ab, von der dann die Infrastruktur betrieben und bilanziert wird. Wenn der Bund sich die aus seinem Eigentum folgenden Rechte nach frühestens 15 Jahren zurückholen will, muss er – und das ist der volkswirtschaftliche Skandal – an die DB einen sehr hohen, noch nicht bekannten Milliardenbetrag bezahlen.
Danach beginnt für die Bahn eine dreijährige Rückabwicklungsphase, es sei denn der Bundestag beschließt ausdrücklich eine Verlängerung der Überlassung an die Bahn AG. In jedem Fall subventioniert der Bund nach der Teilprivatisierung das System Schiene weiterhin mit rund neun Milliarden Euro jährlich, womit er zunehmend private Investoren alimentiert. Der Steuerzahler wird also zweimal zur Kasse gebeten.
Für den Bund wäre der einzige Vorteil dieser Transaktion die einmalige Einnahme von etwa fünf bis 15 Milliarden Euro aus dem Anteilsverkauf an Investoren. Gemessen an dem eigentlichen Gesamtwert der gigantischen, 170 Jahre alten Einrichtung Eisenbahn, der vorsichtig auf 150 bis 250 Milliarden Euro geschätzt wird, ist das ein ausgesprochen schlechtes Geschäft. Vor allem für den Steuerzahler, der das von ihm schon einmal finanzierte Netz zurückkaufen soll. Der Verdacht der Veruntreuung von Steuergeldern drängt sich hier auf.
Auch in einer anderen, nicht minder gravierenden Hinsicht ist das Privatisierungskonzept von Tiefensee nicht durchführbar: Es verletzt Art. 87e Abs.4 des Grundgesetzes, der das Wohl der Allgemeinheit sicherstellen soll. Letzteres aber interessiert den Vorstand einer auf Gewinn orientierten Aktiengesellschaft herzlich wenig. Denn der unterliegt der genau konträren gesetzlichen Handlungsmaxime: Er soll einzig und allein den wirtschaftlichen Vorteil der Anteilseigner durchsetzen. Bei dieser Konfliktlage reichen die vorgesehenen Einflussmöglichkeiten des Bundes auf die Infrastrukturunternehmen jedoch nicht aus, um den Gemeinwohlauftrag zu erfüllen.
Zu diesem Ergebnis war Ende Mai auch die überwiegende Mehrheit der im Bundestags-Verkehrsausschuss gehörten Sachverständigen gekommen. Sie hatten die Vereinbarkeit des Entwurfs mit dem Grundgesetz verneint. Diese Bedenken sind inzwischen ausgeräumt, heißt es. Bis 24. Juli tüftelt die Regierung nun an einer neuen Vorlage für das Kabinett, in der der Einfluss des Bundes auf die Infrastruktur gestärkt werden soll. Höchst problematisch bleibt aber, dass die Bahn AG das Schienennetz bilanzieren soll, obwohl es Eigentum des Bundes bleibt. Zumal die Neubaustrecken gar nicht in die Bilanz eingestellt werden, was bedeutet, dass eine Bilanzierung des realen Werts, der sich aus etwa 60 Milliarden Euro Investition ergibt, ausgeschlossen wird. Eine derartige Bewertung ist so lange legitim, wie das Unternehmen im Bundesbesitz bleibt. Im Falle eines Verkaufs aber würden diese wertvollsten Anlagen der DB de facto an Investoren verschenkt, die damit anschließend nach Renditegesichtspunkten verfahren. Hierfür auf Verständnis von Seiten der Bürgerinnen und Bürger zu hoffen, ist wohl nicht zu erwarten.
Ein integrierter Börsengang, wie Bahnchef Mehdorn ihn für 2008 plant, verbietet sich demnach vor dem Hintergrund der Tatsache, dass die Verkaufserlöse den realen Wert der Anlagen um mindestens 60 Milliarden Euro unterschreiten würden. Die Quadratur des Kreises zu vollziehen, rechnet sich für den Bund eben nicht und ist vor allem töricht: Denn mit dem beschriebenen Ausverkauf verprellt nicht nur die Bahn ihre Kunden. Der Staat verprellt auch seine Bürger.
WOLFGANG NESKOVIC
Fotohinweis:Wolfgang Neskovic, 58, ist rechtspolitischer Sprecher der Linksfraktion im Bundestag. Von 2002 bis 2005 war er Richter am Bundesgerichtshof. 1979 bis 1994 war er Mitglied der SPD, 1995 bis 2005 der Grünen, seitdem ist er parteilos.